80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
in dem auch ich aufgenommen war, wurden noch sechs andere junge Frauen vorgestellt, doch keine von ihnen lebte in Seattle oder stattete während meines Aufenthalts dem Tanzstudio einen Besuch ab. Offenbar waren nach dieser Ausbildung Auffrischungskurse überflüssig. Die Frauen waren alle auf ihre ganz eigene Art schön, manche exotisch, andere kleine Abbilder der Perfektion – unter ihnen eine Asiatin, die so zierlich zu sein schien, dass sie in eine Reisetasche passte. Ich war nicht die einzige Blondine, aber die einzige ohne Brustvergrößerung und mit einem Pistolen-Tattoo an einer strategischen Stelle. Nur eines der anderen Mädchen war noch sichtbar tätowiert. Quer über ihren Schultern stand in Fraktur: »A Spy in the House of Love.« Unsere Namen waren zwar aufgelistet, aber vermutlich trugen die meisten einen Künstlernamen. Ich allerdings war bei »Luba« geblieben. Ich wollte niemand anderes sein. Die Frau in dem grauen Kostüm, die mich gefragt hatte, unter welchem Künstlernamen ich in die Liste aufgenommen werden wolle, hatte nur gestöhnt, als ich ihr dies sagte.
Der Katalog wurde streng vertraulich verteilt, selbst ich durfte kein Exemplar behalten. Darin waren Fotos von uns, nackt und bekleidet, außerdem Angaben zu unseren Maßen und andere technische Daten, und jede von uns bot drei verschiedene Szenarien an.
Hinten im Katalog waren lediglich wenige Männer aufgeführt, keiner mit Namen. Nachdem ich für das Ausbildungsprogramm in Seattle angenommen worden war, hatte man mir einen Tag Zeit gegeben, mir verschiedene Szenarien auszudenken, bei denen ich als Höhepunkt vor aller Augen mit einem der Tänzer ficken sollte. Nur für den Fall, dass es mir an Fantasie gemangelt hätte, hatten meine beiden Betreuerinnen auch zahllose Vorschläge parat. Manche ihrer Ideen waren ungeheuerlich, einige langweilig, und andere boten verblüffend wenig erotisches Potenzial. Aber die Frauen verfügten über jahrelange Erfahrung und schienen zu wissen, auf was die reiche Klientel des Netzwerks abfuhr.
Wunschgemäß schlug ich drei Szenarien vor.
Der Mann, mit dem ich den jeweiligen Akt aufführen würde, wenn wir denn gebucht würden (die dafür im Katalog genannten Preise waren enorm und grenzten meiner Meinung nach an Wahnsinn), sollte für immer den Namen der Darbietung tragen, die wir verkörperten.
Da gab es den Tango.
Den Inkapriester.
Und – damit all die langen Jahre des Drills damals in Russland auch zu etwas nutze waren – den Ballettmeister.
Ich bestand darauf, zu Beginn des jeweiligen Szenarios allein zu tanzen, nach einer Musik meiner Wahl. Es sollte eben mehr sein als eine unglaublich teure Live-Sexshow. Die Kunden sollten für ihr Geld etwas geboten bekommen.
Nachdem ich diese Bedingungen durchgesetzt hatte, wurden meine drei Sexpartner aus den verschiedensten Ecken der Welt nach Seattle beordert. Wir hatten jeweils achtundvierzig Stunden Zeit, um unseren Akt einzustudieren. Die beiden grau gekleideten Damen saßen mit Adleraugen dabei, machten Notizen und griffen sogar ein, wenn sie das Gefühl hatten, es müsse irgendetwas verbessert werden.
Ich begann mit Debussy. Die klaren, an den trägen Rhythmus des Meeres erinnernden Klänge des Stücks verband ich innerlich immer mit Chey. Und dieses fest in meinem Bewusstsein verankerte Bild diente mir als undurchdringliche Trennwand und stellte sicher, dass der anonyme Sex für mich ein Job blieb und nicht zu einer Übung in Intimität wurde. Ich würde den Männern meinen Körper geben, doch mein Geist gehörte weiter nur mir.
Als Erstes wollte ich den Tango zeigen.
Er war einer der wenigen Paartänze, die mir zumindest ansatzweise vertraut waren. Wegen seiner Feurigkeit und Erotik lag es auf der Hand, dass ich mich für ihn entschied.
In St. Petersburg hatten wir das, was in einem unserer Arbeitshefte »Russischer Tango« hieß, zu Liedern von Pjotr Leschtschenko gelernt. Damals hielten manche den Sänger noch immer für einen Konterrevolutionär, daher hatte uns die Tanzlehrerin seine Schallplatten nur dann vorgespielt und uns die Schrittfolgen gezeigt, wenn die anderen Lehrerinnen mit den verkniffenen Mienen gerade irgendwo anders ihren Unterricht vorbereiteten oder den Jüngeren die fünfte Position zeigten.
Pjotr Leschtschenkos Stimme war für mich voller Traurigkeit, erfüllt von Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe. Und kaum hatte ich herausgefunden, dass seine Schallplatten früher verboten gewesen waren, hatten sich die
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