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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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mit einem vagen Kältegefühl auf die Landschaft, und auch der Eisschnee, der ihm ins Gesicht geschleudert wurde, war unangenehm, beinahe schmerzhaft. Es waren keine echten Schmerzen, und doch konnte er sie nicht völlig ausblenden. Möglicherweise wäre es sinnvoller gewesen, sich von dem Strudel verschlucken zu lassen. Wenn die Strömung stark genug war und seinen Verfolger zermalmte, war er gerettet … Aber er hatte sich für die andere Richtung entschieden, den Mahlstrom hinter sich gelassen.
    In der Ferne wurde etwas sichtbar, und er wusste sofort, dass es ein Schiff sein musste, auch als es nur einen verwaschenen Fleck hinter den flatternden Schleiern des Nebels bildete. Ein Schiff in dieser geschlossenen Eisdecke … „Wrack“ war wohl der passendere Ausdruck. Falls es sich nicht um einen speziellen Eisbrecher mit gepanzerten Außenwänden und einer Stahlkante am Bug handelte, gab es hier für kein Schiff ein Durchkommen. Sir Darren hielt darauf zu. Nebelbänke ließen es mehrmals ganz verschwinden wie das frostige Gegenteil einer Fata Morgana, doch plötzlich tauchte es vor ihm aus dem Dunst, riesig und dunkel.
    Und es bewegte sich. Langsam drängte es sich zwischen zwei gewaltigen Eisplatten hindurch, die auseinandergebrochen waren. Das Eis brüllte wie unter Schmerzen, und der Nebel wurde fortgeweht, so dass das Schiff im klaren Sonnenlicht erstrahlte.
    Es war kein Eisbrecher. Und es war auch kein anderes modernes Schiff.
    Es handelte sich um einen enormen Segler, ein prachtvolles Stück wie aus einem historischen Bildband. Die Masten stachen stolz in den wolkenlosen Himmel, die Segel waren leicht gebläht, schienen zu atmen. Der Dozent tippte auf das siebzehnte oder achtzehnte Jahrhundert – ungefähr die Zeit, aus der auch die Libera Nos des Fliegenden Holländers Bernard Fokke stammte. Doch dieser Segler hier war um ein Mehrfaches größer als das berühmte Geisterschiff. Eine dreistellige Besatzung musste nötig sein, um dieses Prachtstück zu kontrollieren.
    Unmöglich! Ein solches Schiff konnte es nicht geben, nicht an einem solchen Ort, im 21. Jahrhundert.
    Auch nach allem, was er erlebt hatte, hatte er die Kategorien „möglich“ und „unmöglich“ noch nicht aufgegeben. Die natürlichste Erklärung schien zu sein, dass es sich um ein Wrack handeln musste, welches seit Jahrhunderten hier feststeckte und nur durch einen Zufall in Bewegung geraten war.
    Diese Erklärung wurde schon durch den hervorragenden Zustand des Schiffes ad absurdum geführt. Die ewige Kälte mochte zwar das Holz konservieren und vor Fäulnis bewahren, und das arktische Eis konnte theoretisch verhindert haben, dass das Wrack sank, doch es vermochte die Segel nicht vor dem Wind zu schützen. Die Segel waren intakt, so intakt wie das gesamte Schiff. Es mochte seit Tagen oder Wochen hier im Eis stecken, aber gewiss nicht seit Jahrhunderten.
    Die alternative Erklärung lautete: dies war ein Geisterschiff!
    Ja, und warum auch nicht? Er war bereits auf dreien als Passagier gefahren. Über zwei Monate hatte er auf Phantomseglern zugebracht – das erste hatte ihn von Amsterdam nach Batavia befördert, das zweite von Batavia an den Rand des Polarmeers und das dritte bis in den Mahlstrom hinein. Eine Reise in drei Etappen war es gewesen, und er war davon ausgegangen, dass sie hier endete.
    Eine vorschnelle Vermutung.
    Wartete hier sein Anschluss?
    Einige Zeit verharrte er in der Nähe des Riesen, der in einer Diagonalen unendlich langsam an ihm vorüberdriftete. An Bord konnte er niemanden erkennen, doch das war aus dieser Perspektive wenig verwunderlich.
    Wenn es ein Geisterschiff war, dann würde er es vielleicht kennen, wie er die vorigen gekannt hatte. Aus der Überlieferung, aus alten Legenden oder aus der Literatur. Er dachte nach, ob ihm ein Schiff einfiel, das im Packeis des Südpols festgesteckt hatte. Natürlich war dieser Fall in der Geschichte der Seefahrt oft genug eingetreten, viel zu oft, und die Zahl der erfrorenen Seeleute war Legion, aber im Zusammenhang mit seinen spiritistischen Studien kam ihm nichts Definitives in den Sinn.
    Das Schiff glitt weiter an ihm vorbei, und er wollte nicht länger zögern. Er glaubte jetzt, in den Segeln eine menschliche Gestalt ausgemacht zu haben. Bestimmt saß auch jemand ganz oben im Krähennest. Sir Darren hob die Hand und schwenkte sie. Setzte zu einem Ruf an.
    Da sah er etwas vor dem klaren, blauen Himmel über dem Schiff, und der Laut erstarb in seiner Kehle.
    Ein Schatten

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