9 - Die Wiederkehr: Thriller
Krankenwagen angerufen und der David zugedeckt hatte, während dessen Leben in einem warmen, roten Schwall zwischen den Fingern zerrann. Aarón hatte seine Privatnummer herausbekommen. In seiner Eigenschaft als bester Freund des Opfers hatte er nach ein paar Gesprächen genug Vertrauen zu ihm aufgebaut, um ihn beiläufig nach seinem Geburtsdatum zu fragen. Ein weiteres korrektes Datum. Aarón unterstrich auch diese Information.
Diese drei Altersangaben, diese drei Geburtsdaten waren richtig notiert.
Nun konzentrierte sich Aarón auf die einzige Person, deren Angabe es noch zu überprüfen galt. Eine neue Angst staute sich irgendwo auf Brusthöhe, als er den Kugelschreiber auf Davids Namen legte. Denn er wusste bereits, was er finden würde.
Die Angaben zu Palmer und zu David waren für ihn am leichtesten zu bekommen gewesen. Deshalb hatte sie sich Aarón für zuletzt aufgehoben. Und deshalb hatte er, ganz benebelt davon, dass Daten und Zahlen der achtzehn vorangegangenen Personen übereingestimmt hatten, nicht mehr so genau hingeschaut. Palmer hatte er einfach ein Geburtsdatum und ein Alter zugeordnet, in der festen Annahme, dass sie dem Muster folgen würden. In Davids Fall, von dem er ganz genau wusste, dass er am dritten Februar 1971 geboren war, genau wie er selbst, hatte er es gar nicht für nötig gehalten, sein exaktes Alter beim Überfall in Jahren, Monaten und Tagen zu errechnen. Deshalb hatte er neben seinen Namen schlicht »29 Jahre« notiert.
Wieder hatte er dieses Gefühl im Magen.
Er sah sich die Notizen zu den Leuten an, die dieses Alter bei den vorherigen Überfällen hatten: 29 Jahre, 4 Monate und 9 Tage war einer der Zeugen 1909 alt gewesen. Genau wie der Einbrecher, der 1950 auf Isaac Canal II geschossen hatte. Und genau wie der junge Mann, der 1971 als Verkäufer in der Tankstelle gearbeitet hatte: 29 Jahre, 4 Monate und 9 Tage.
Als er nun zum ersten Mal Davids exaktes Alter errechnete an dem Tag, als diesen ein Schuss traf, der eigentlich ihm galt, brach Aarón ein kalter, dickflüssiger Schweiß aus.
David war an dem Tag 29 Jahre, drei Monate und 9 Tage alt.
Einen Monat jünger als er sein sollte. Einen Monat jünger als alle vorangegangen Neunundzwanzigjährigen.
Ein Monat.
Das Alter von Señor Palmer und das von David wichen von dem Muster um einen Monat ab.
»Und was hat das jetzt zu bedeuten?«, fragte Aarón.
Er stand auf und starrte im Stehen auf den Tisch. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Er nahm an, dass es noch Tag war, denn vor wenigen Stunden war das Lenkrad von der Sonne noch glühend heiß gewesen. Die gerötete Brust des Mannes fiel ihm wieder ein, der ihn in der Straße, wo das Open war, angehalten hatte. Er fasste sich in den Nacken. Er fühlte sich heiß an. Er drehte sich einmal um sich selbst.
Als er zu begreifen begann, kam die Angst.
An dem Tag wurde kein Kind geboren, nicht in diesem Krankenhaus.
Er lief durch das Wohnzimmer in Richtung Küche. Dort trat er auf das Pedal am Mülleimer. Wühlte sich durch Kartons und Essensreste. Einen nach dem anderen zog er die Schnipsel der Tickets nach Kuba heraus, die er am Vortag zerrissen hatte. Legte sie auf dem Tisch aus. Fügte, nach einem kurzen Blick darauf, jeden Schnipsel dort ein, wo er hingehörte, bis alle vier Tickets wieder zusammengefügt waren. Zwei für ihn und zwei für David. Stürmisch fing sein Herz zu klopfen an, prophezeite ihm, worauf er stoßen würde.
Er schaute auf das Abflugdatum: 10. Juni.
»Gestern«, sagte er.
Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, als wären sie eine Folge der elektrischen Hitze, die sein Kopf abstrahlte. Er kehrte zum Wohnzimmertisch zurück. Nahm ein weißes Blatt Papier. Schrieb mit großen Ziffern ein neues Datum darauf. Für einen weiteren Überfall. Er malte fünf Kreise. Notierte neben jedem von ihnen die Altersangabe, die bisher bei den Überfällen immer übereingestimmt hatte. Neben den Kreis, den er hinter der Ladentheke gemalt hatte, schrieb er den Namen von Señor Palmer. Und diesmal das richtige Alter: »53 Jahre, 3 Monate und 2 Tage«. Neben dem Kreis, dem er das Alter 29 Jahre, 4 Monate und 9 Tage zugeordnet hatte, fügte er das Wort »Opfer« hinzu. Als er neben diesen Kreis einen Namen schreiben wollte, dachte er, die Hand würde ihm nicht gehorchen. Schließlich tat sie es doch.
Und der Name des Opfers, den Aarón hinschrieb, lautete: »Aarón Salvador«.
Er selbst.
Oben auf das Blatt hatte er »12. Juni 2000«
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