9 - Die Wiederkehr: Thriller
geschrieben.
»Morgen«, sagte er in die Luft.
Wieder sackten ihm die Beine weg. Er ließ sich auf den Stuhl fallen und hielt sich mit der gesamten Armlänge an der Tischplatte fest. Ein neuer Gedanke kam ihm in den Sinn.
»Deshalb ist Davo nicht gestorben.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Davo ist nicht tot.«
Er sagte es zweimal. Andrea hatte es ihm seit dem Überfall so oft gesagt. Seine Mutter ebenfalls. Er hatte es die ganze Zeit direkt vor Augen gehabt.
»Davo ist nicht tot«, sagte er ein drittes Mal. »Er zählt nicht«, fügte er hinzu. »Und ich hätte an diesem Abend gar nicht dort sein sollen.«
Er sah auf das Blatt, auf das er gerade seinen Namen geschrieben hatte. Morgen würde er 29 Jahre, 4 Monate und 3 Tage alt sein. Am 12. Juni 2000. Aber er hätte an dem Tag gar nicht in Arenas sein sollen. Er hätte gar nicht ins Open gehen können. Weil er die Frau seines Lebens verlassen und beschlossen hatte, an genau diesem Datum mit seinem besten Freund nach Kuba zu fliegen. Nichts hätte ihn davon abhalten können.
Nichts.
Nichts, außer einem Schuss, der seinen Freund ans Bett fesseln würde. Nichts außer Schuldgefühlen und einer Entdeckung, von der er derart besessen war wie von den Berechnungen auf den Blättern vor ihm.
Ein monströses Lachen, voller Entsetzen, entfuhr ihm, als er begriff.
»Nur um mich geht es hier.«
Er nahm das Blatt mit der Überschrift »12. Mai 2000« und zerknüllte es.
Der Überfall mit Davo zählt nicht.
An die Stelle legte er das neue Blatt, überschrieben mit dem Datum »12. Juni 2000«. Einen Monat später. Ein Monat Unterschied, mit dem wieder alles übereinstimmte. Wie immer. »Morgen bringe ich dir deine Medikamente. Wir haben eine Abmachung, stimmt’s?«, hatte er vor ein paar Stunden zu Palmer gesagt.
»Denn Palmer ist morgen 53 Jahre, 3 Monate und 2 Tage alt.«
Er dachte an Andrea und verspürte ein unerklärliches Triumphgefühl. Das Triumphgefühl, wenn er zu ihr sagen würde: »Weißt du noch, wie du gesagt hast, dass du nicht an das Schicksal glaubst? Denn all das ist eine verdammte Strategie des Schicksals. Das Schicksal ist ein verdammtes Schwein. Denn morgen wird der eigentliche vierte Überfall im Open stattfinden. Und bei dem werde ich dabei sein. Der vorletzte vor dem fünften. Morgen bin ich dran. Und morgen wird dieses Kind geboren.«
Das Wohnzimmer und die ganze Wohnung fingen an sich zu drehen. Er fühlte, wie sich der Tisch unter seinen Armen bewegte. Die linke Wand war plötzlich die rechte, und der Stuhl kippte vor und zurück, als wäre er von einer Welle erfasst, die durch den Holzboden ging. Er spürte seinen Magen bis an die Kehle. Mit Mühe stand er auf, und er musste sich mit ausgestrecktem Arm an der Wand entlangtasten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er kam gerade noch rechtzeitig zum Badezimmer, um sich über der Kloschüssel zu erbrechen. Bei jedem neuen Anfall spürte er, wie das Blut durch seinen Kopf gepumpt wurde und wie es in der Wunde am Auge pochte.
Als er wieder aufstand, dauerte es eine ganze Weile, bis das Schwanken unter seinen Füßen nachließ. Er setzte sich auf die Kloschüssel. Legte den Kopf in die Hände und presste die Handflächen gegen die Augenlider, bis er nur noch zwei große weiße Punkte sah. Er schmeckte Galle. Er versuchte sich zu räuspern, doch aus seinem Mund kam nur ein dumpfes, vom Magen herrührendes Stöhnen, das Geräusch eines Menschen, der akzeptiert hat, dass sein Tod unmittelbar bevorsteht.
»Nein.«
Aarón war erstaunt, wie tief seine Stimme klang, und wischte sich die Augen trocken. Ihm war nicht mehr kalt, und in seinem Kopf hatte es aufgehört zu rumoren. Die Hände waren auf einmal wieder trocken. Der Herzschlag fiel erneut in seinen normalen Rhythmus, was er vor allem im Hals spürte. Einen Augenblick lang genoss er diese innere Ruhe. Dann stand er auf.
Er wusste genau, was zu tun war.
Zuerst suchte er in der Küche. Dann im Wohnzimmer. Er sah unter den Blättern auf dem Tisch nach. Unter den Kissen auf dem Sofa. Er konnte sich nicht entsinnen, im Schlafzimmer gewesen zu sein, seit er wieder nach Hause gekommen war, aber auch dort sah er nach. Er ging zurück ins Bad und sah rechts und links der Kloschüssel nach. Dann stand er nur still da. Wandte den Kopf und schloss die Augen. Da fiel es ihm wieder ein.
Er ging zur Wohnungstür und öffnete sie. Sah an der Außenseite der Tür nach und fand, wonach er gesucht hatte. Er hatte den Schlüssel stecken lassen,
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