9 - Die Wiederkehr: Thriller
was ich dir heute am Aussichtspunkt gesagt habe, weinst«, bat er.
Aber sie schüttelte den Kopf, die Stirn an seine Schulter gelehnt. Bis die Bewegung plötzlich ihre Richtung änderte und sich die Verneinung in Zustimmung verwandelte. Aarón seufzte laut. Er riss die Augen so weit auf, wie er konnte, in der Hoffnung, die Luft würde sie wieder trocknen. Dann drehte er sich weg, sodass sie gezwungen war, sich von seiner Schulter zu lösen. Die Handbremse bohrte sich in Aaróns rechten Oberschenkel. Er kehrte auf den Fahrersitz zurück, und der Motor beruhigte sich wieder.
»Jetzt bleiben wir erst mal ganz ruhig, okay?«, sagte er.
Er ergriff ihre freie Hand, während sie sich mit der anderen die Nase putzte. Sie nickte und rieb wieder die Lippen aneinander.
Aáron schaltete den Warnblinker aus und fuhr los.
»Alles wird gut«, murmelte er vor sich hin.
Da kam ihm zum ersten Mal der eine, alles entscheidende Gedanke.
Es ist meine Schuld.
Beinahe zeitgleich lag der Junge, der ihm gezeigt hatte, wie man ein Mädchen küsst und eine Fledermaus betrunken macht, der Freund, der ihm vor ein paar Stunden angeboten hatte, die Medikamente in den Laden des Amerikaners zu bringen, auf einem Krankenbett. Das klaffende Loch in seiner Brust, durch das eine Kugel von links hinten in seinen Körper eingetreten und vorne wieder ausgetreten war, zog ihn hinab in die Tiefe des Komas.
Sie schwiegen, während sie durch den für Arenas ungewöhnlich warmen Maiabend fuhren und die zahlreichen Kreisverkehre umkurvten. Als Aarón wie gewohnt in die Straße zum Open einbog, wollte Andrea ihn noch warnen, aber es war zu spät.
»Nimm doch lieber die Straße zum Aqua, die hier ist wahrscheinlich …« – Aarón drosselte die Geschwindigkeit, bis der Wagen zum Stehen kam – »gesperrt.«
In der Ferne sahen sie die Blaulichter der Polizeiautos. Aarón konnte den Wagen ausmachen, den Héctor immer fuhr. Seit mehr als zehn Jahren drehte er damit seine Runden durch die Stadt. Bestimmt hatte Héctor nie an die Möglichkeit gedacht, dass eines Tages sein eigener Bruder Opfer eines Verbrechens sein würde, dass er sich an dem Schauplatz dieses Verbrechens einfinden musste, nachdem ihm am Telefon die Stimme eines Mannes, der kaum imstande war zu sprechen, mitgeteilt hatte: »Der junge Mann, ich glaube, sie haben ihn umgebracht.«
Der blaue Schein der Blinklichter spiegelte sich in den Schaufenstern des Open. In den beiden Zapfsäulen neben dem kleinen Parkplatz. In den Fenstern der Schule auf der anderen Straßenseite. Und in den Pupillen von Andrea, die Aarón anstarrte, als hätte ihr erst der Anblick dieser Szene etwas Wichtiges in Erinnerung gerufen, das ihr vorübergehend entfallen war.
»Bitte nicht!«, entfuhr es Aarón, als ihn das Szenario am Ende der Straße zwang, das Geschehen in seiner ganzen Tragweite zu erfassen.
Im Krankenhaus liefen sie zuerst Héctor in die Arme, der offenbar im Krankenwagen mitgefahren war und als Polizist und Bruder des Opfers eine unklare Position einnahm. Jedenfalls schien er über Davids Zustand informiert zu sein. Er umarmte zuerst Aarón. Dann nahm er Andreas Gesicht in beide Hände und küsste sie auf die Stirn. Zum Schluss breitete er die Arme um sie beide und drückte sie fest. Aarón und Andrea verschränkten die Hände ineinander. Héctor schüttelte langsam den Kopf.
Nein.
»Er liegt im Koma«, sagte er, nun ganz in der Rolle des Polizisten, der die Aufgabe hat, den Angehörigen eine schlechte Nachricht zu überbringen. »Ein Koma vierten Grades. Was das auf der Glasgow-Koma-Skala bedeutet … weiß ich nicht. Sie haben gesagt: Nein, sie glauben nicht …« – und jetzt sprach er mit der Stimme des Bruders – »… dass er wieder aufwachen wird.«
Aarón schrie in sich hinein, ohne die Lippen zu bewegen.
Wer allerdings zur gleichen Zeit im selben Krankenhaus sehr wohl die Lippen bewegte, war Palmers Frau. Nach der Schießerei im Laden war ihr Mann auf dem Fußboden zusammengebrochen. Er war auf die Knie gefallen, wo er das Gleichgewicht mithilfe seiner Hände, auf die er sich stützte, noch ein paar Sekunden hatte halten können. Damit hatte er jedoch nicht verhindern können, dass ihn der stechende Schmerz in seiner linken Brust schließlich zu Boden zwang, wo er wie ein Käfer auf dem Rücken liegen blieb. Jetzt hing er am Tropf, während sein Zustand durch ein ununterbrochenes Piepen versinnbildlicht wurde. Seine Frau saß auf einem Stuhl neben dem Bett, die Stirn auf die Matratze
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