9 - Die Wiederkehr: Thriller
soundsovielte August nächstes Jahr.« Sie machte eine kurze Pause, in der auch die Hand schließlich zum Stillstand kam. »Leo ist erst nächstes Jahr neun. Es muss jemand gewesen sein, der ihn kennt«, lautete ihre Schlussfolgerung.
»Aber da ist noch etwas, das mir nicht einleuchtet«, hakte Amador nach. »Ist es nicht ein bisschen komisch, dass ihn seine Freunde in dem Brief als ›neunjährigen Jungen‹ anreden? Sie sind doch selber Jungen. Ihn so zu nennen, hat nur Sinn, wenn der Verfasser des Briefes ein … Moment!«
Bravo, dachte Victoria.
»Victoria«, sagte er, »ich glaube, diese Handschrift stammt von einem Erwachsenen.«
Victoria blieb stehen. Am liebsten hätte sie über den Ernst in der Stimme ihres Ehemanns gelacht. Der Kopfschmerz traf sie jetzt mit voller Wucht, vom Nacken ausgehend breitete er sich über die linke Kopfhälfte aus, um sich dann im Innern des Augapfels festzusetzen. Überwältigt ließ sie sich wieder auf die Bettkante sinken. Sie blickte Amador angsterfüllt an. Er nahm den herben Schweißgeruch war, den sie immer nur zu später Stunde verströmte.
»Und was zum Teufel hat das alles nun zu bedeuten?«
Perspektivisch verkürzt wirkte Victorias Nase noch spitzer als sonst.
Diesmal war es Amador, der wie durch einen imaginären Stromschlag jäh vom Bett aufsprang. Arenas, ursprünglich ein Dorf mit Steinhäusern, umstrukturiert in eine Ansammlung von Neubauten, kleinen Traumhäuschen, ja, eine kleine suburbane Blase, in der es Sonntags-Barbecues, grüne Gärten und lächelnde Nachbarn gab, die sich immer noch Guten Tag sagten wie in einer amerikanischen Fernsehsoap, verwandelte sich plötzlich in einen verkommenen Ort, an dem ein einzelnes Kind, ein Kind wie Alma, zur Zielscheibe des Spotts werden konnte, des Spotts dieser kranken Individuen mit ihrem falschen Lächeln und ihren heimlichen perversen Gewohnheiten.
»Um Gottes willen, und wenn uns jemand erpressen will?«, holte Victoria ihn in die Realität zurück. »Ich habe dir doch gesagt, kauf dir nicht so ein unglaublich teures Auto.«
Amador musste sich zusammenreißen, um seine Frau nicht anzubrüllen. Er ballte die Fäuste, spürte, wie sich das Blut in den Fingern staute. Sie war es gewesen, die um jeden Preis dieses riesige Haus in der teuersten Gegend von Arenas kaufen wollte. Sie war es, die vor ihren Kolleginnen, die ebenfalls in elitären Siedlungen im Madrider Umland wohnten, mit dem neuen Auto prahlte, seinem BMW, mit dem sie jetzt immer fuhr, und mit der Haushaltshilfe, die sie sich auf ihren Wunsch hin leisteten. Nicht zuletzt hatte sie auch noch eine Zeit lang damit angegeben, den schlausten Sohn von allen zu haben. Wenn ganz Arenas wusste, dass ihre wirtschaftliche Situation mehr als günstig war, lag das vor allem an Victorias überheblicher, prahlerischer Art. An ihrem Hochmut, sich mit ihrem neuen Status aufzuplustern, den sie nicht durch ihre Arbeit als Fachanwältin für Urheberrecht erworben hatte, sondern durch die Heirat mit ihm, dem Sohn von Amador Cruz. Dass es sich um eine Erpressung handeln könnte, war durchaus möglich, vor allem in dem neuen grässlichen Arenas in Amadors Vorstellung, aber es lag ganz bestimmt nicht an seinem verdammten Aston Martin.
»Ich werde jetzt sofort die Polizei anrufen«, sagte Amador laut, um der Flut von schrecklichen Bildern, die das wirkliche Arenas bis zur Unkenntlichkeit verzerrten, Einhalt zu gebieten und nebenbei die Wut auf seine Frau zu kanalisieren.
Er ging ums Bett herum, ohne Victorias Meinung abzuwarten, und redete weiter, um ihr keine Gelegenheit zur Widerrede zu geben. Sie folgte ihrem Mann mit den Augen. Auch sie hielt es für das Vernünftigste, die Polizei anzurufen.
»Dieser Typ ist ziemlich dumm, wenn er nicht weiß, dass man heute praktisch jeden mithilfe seiner Handschrift identifizieren kann«, rief Amador, während er den Hörer vom Telefon nahm, das auf seiner Seite des Bettes auf dem Nachtkästchen stand. »Wie viele Leute sind Linkshänder, jeder Zehnte?« Er blickte noch einmal auf den Brief in seiner Hand. »Gut, dann hat sich das Problem jetzt um das Zehnfache vereinfacht.«
Mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper wählte er 112, die einzige Nummer, die ihm gerade in den Sinn kam.
Victoria riss ihm gewaltsam das Blatt aus der Hand, während er die letzte Taste drückte. Sie studierte den Brief mit einer neuen Eindringlichkeit, als läse sie ihn zum ersten Mal. Tatsächlich, die Schrift neigte sich nach links, nicht allzu
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