9 SCIENCE FICTION-STORIES
Migliardo den Kopf. »Sag das nicht, Emil! Wir sind ohnehin schon ängstlich genug. Werde du nicht auch noch verrückt!«
»Denk zurück, Mig«, sagte Jelinek sanft. »Ganz weit zurück. Zurück bis zu dem Augenblick, in dem wir vom Kleinen Rad aus unser Schiff bestiegen. Phillips hatte uns Lebewohl gesagt und Danton ebenfalls. Wir waren allein, das Taxi hatte uns zur Santa Maria gebracht, und nun sahen wir uns in den Räumen um, die zweieinhalb Jahre lang unsere Heimat sein sollten. Wer war dabei, Mig?«
Migliardo legte die Stirn in Falten. »Du und ich und Burt und Ted und Iron – und …« Er sah Jelinek aus seinen großen, dunklen Augen an. »Shepherd war nicht bei uns.«
»Wann kam er, Mig?«
»Wie konnte er auf das Schiff gelangen, nachdem es gestartet war, Emil! Er war nicht dabei, und jetzt ist er hier. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Beantworte mir eine Frage, Mig. Wer ist Shepherd?«
»Ich weiß es nicht. Und du?«
»Ich habe noch etwas nachgeprüft, Mig. Die Vorräte. Nur wir zwei haben gegessen, Mig. Mit Burt haben drei getrunken und geatmet. Shepherd ißt nicht und trinkt nicht und atmet auch nicht.
Wie soll ich ihn nennen? Eine Massenhalluzination, wenn es so etwas überhaupt gibt. Die Gestaltwerdung eines tiefverwurzelten Dranges, ausgelöst von gewissen Instruktionen, die man uns gab, vielleicht sogar durch posthypnotische Suggerierung. Aber ich glaube nicht, daß es so geplant war.«
»Du sprichst wie ein Hexenmeister, Emil.«
Jelinek nickte. »Gewiß. So muß es dir erscheinen. Aber unser Unterbewußtsein spielt uns nun mal seltsame Streiche. Und jetzt beantworte meine Frage.«
»Es stimmt nicht, daß er erst am hundertzwölften Tage auftauchte. Erinnerst du dich noch an das Gesicht, das Burt sah? Und an den Mann im Vorratsraum, von dem Ted erzählte?«
»Das würde ihn zu etwas machen – das mit einem Menschen nichts gemein hat.«
»Ein Mensch ist er auf keinen Fall. Haben wir denn eine Ahnung, was den Menschen im interplanetarischen Raum erwartet?«
»Das war keine sehr gute Antwort, Mig.«
»Meine beste Antwort ist der Glaube, Emil. Warum nennen wir ihn Shepherd – den Hirten? Hat er uns seinen Namen gesagt? Hat einer von uns ihn so getauft? Oder war es etwas, das uns einfach so zukam?«
»Sag du es mir.«
Migliardo zitierte leise: »Der Herr sei mein Hirte. Ich werde nicht Not leiden. Er bereitet mein Lager auf grüner Weide, er geleitet mich zu den stillen Wassern. Er erquickt meine Seele. In seinem Namen führt er mich die Wege der Rechtschaffenheit. Ja, obwohl ich durch das Tal der Schatten wandle, fürchte ich das Böse nicht.«
»Das war eine gute Antwort, Mig«, sagte Jelinek langsam. »Vielleicht besser als meine. Sie hat alle Anzeichen von psychologischer Wahrheit und Berührungsstellen mit der Erfahrung – die stillen Gewässer und das dunkle Tal des Todes. Ich wollte nur, ich wäre nicht so ein Skeptiker. Ich würde gern mit dir und Shepherd beten. Das Schlimme ist nur – in den letzten Tagen habe ich Shepherd nicht mehr gesehen.«
»Emil …«, begann Migliardo. »Ich möchte dir schon lange etwas sagen.«
»Eine Beichte?« fragte Jelinek sanft.
»In mehr als einer Hinsicht. Ich habe Barr umgebracht.«
»Ich weiß. Das Klebeband, das ihn fesselte, war durchgeschnitten und nicht zerrissen. Wie sollte er es durchschneiden, wenn er kein Messer hatte, und wie sollte er sich ein Messer beschaffen, wenn er gefesselt war? Außerdem hätte Barr nie Selbstmord begangen. Eher hätte er auch die anderen Fesseln durchgeschnitten und wäre über uns hergefallen.«
Migliardo legte sich die Hand über die Augen. »Er war mein Freund.«
»Du hast ihm einen Freundesdienst erwiesen – und wenn er noch normal genug gewesen wäre, seine Freunde zu erkennen, hätte er es von dir verlangt. Keiner unter uns ist
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