9 SCIENCE FICTION-STORIES
alles wissen möchtest.« Er schwieg einen Augenblick, und ich spürte wieder die volle Schärfe seines Blickes. »Aus welchem Konversationslexikon hast du dir eigentlich deine Anschauung von der Psychiatrie geholt?«
»Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.«
Stern zog eine Schreibtischschublade auf und holte eine geschwärzte Pfeife heraus. Er roch an ihr und drehte sie um, während er mich ansah. »Die Psychiatrie schält den Menschen ab wie eine Zwiebel. Sie entfernt eine Haut nach der anderen, bis nur noch der innerste, unberührte Kern des Ichs zurückbleibt. Oder ein anderes Bild: Die Psychiatrie bohrt sich wie ein Ölbohrer in die Tiefe – nach unten, ein Stückchen daneben und wieder nach unten –, durch all den Dreck und die Felsschichten, bis sie auf die richtige Stelle trifft. Oder: Die Psychiatrie nimmt eine Handvoll sexueller Motive und schleudert sie auf die winzige Maschine deines Lebens, so daß sie auf bestimmte Episoden treffen. Noch mehr?«
Ich mußte lachen. »Der letzte Vergleich war ganz gut.«
»Der letzte war ziemlich schlecht. Sie sind alle schlecht. Sie versuchen etwas zu vereinfachen, das in sich und gerade durch seine Existenz sehr komplex ist. Die einzige Daumenregel, die du von mir bekommst, ist folgende: Niemand außer dir selbst weiß im Grunde, was mit dir nicht stimmt. Niemand außer dir selbst kann eine Heilmethode finden. Niemand außer dir wird wissen, daß es eine Heilmethode ist. Und sobald du sie gefunden hast, wird dir niemand helfen können, sie anzuwenden.«
»Und weshalb sind Sie dann hier?«
»Ich höre zu.«
»Ich zahle doch nicht jemand einen irrsinnig hohen Stundenlohn, wenn er nichts tut als zuhören.«
»Sicher. Aber du bist überzeugt davon, daß ich die wichtigen Dinge heraushöre.«
»Glauben Sie?« Ich dachte darüber nach. »Wahrscheinlich haben Sie recht.«
»Ich tue es aber nicht. Doch das wirst du mir nie glauben.«
Ich lachte. Er fragte mich, weshalb. »Weil Sie mich nicht mehr Sonny nennen«, sagte ich.
»Dich nicht.« Er schüttelte langsam den Kopf. Während er das tat, beobachtete er mich. »Und was möchtest du über dich wissen?
Es scheint dich zu beunruhigen, da du nicht willst, daß andere Leute davon erfahren.«
»Ich möchte wissen, warum ich jemand umgebracht habe«, sagte ich geradeheraus.
Es entsetzte ihn nicht im geringsten. »Leg dich dort drüben hin.«
Ich stand auf. »Auf die Couch?«
Er nickte.
Als ich mich ein wenig verlegen ausstreckte, sagte ich: »Ich komme mir vor wie in einem dummen Witz, den ich einmal gesehen habe.«
»Was für ein Witz?«
»Ein Kerl, der so gezeichnet ist, daß er wie ein Bündel Trauben aussieht.« Ich sah zur Decke. Sie war blaßgrau.
»Und was stand darunter?«
»›So was hängt sich an die Nerven!‹«
»Sehr schön«, sagte er ruhig.
Ich sah ihn genau an. Er gehörte zu der Sorte, die ganz versteckt lachen, wenn sie überhaupt lachen.
Er sagte: »Den könnte ich als Einleitung für mein geplantes Buch über interessante Fälle verwenden. Nein, dein Fall wird nicht darin vorkommen. Wie kamst du gerade darauf?« Als ich keine Antwort gab, stand er auf und schob seinen Stuhl so hinter mich, daß ich ihn nicht mehr sehen konnte. »Du kannst aufhören, mich zu testen, Sonny. Ich bin wirklich gut genug für deine Zwecke.«
Ich preßte meine Kiefer so fest zusammen, daß meine Backenzähne schmerzten. Dann entspannte ich mich. Ich entspannte mich völlig. Es war ein herrliches Gefühl. »Also gut«, sagte ich. »Es tut mir leid.« Er sagte nichts, aber ich hatte wieder das Gefühl, daß er lachte. Nicht über mich diesmal.
»Wie alt bist du?« fragte er mich plötzlich.
»Äh – fünfzehn.«
»Äh – fünfzehn«, wiederholte er. »Was bedeutete das ›Äh‹?«
»Nichts. Ich bin fünfzehn.«
»Als ich dich nach deinem Alter fragte,
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