9 SCIENCE FICTION-STORIES
die Figur für diesen Job zu haben, aber ihr Vertrauen war nicht sehr groß. Im vergangenen Jahr hatte sie an Gewicht zugenommen, langsam, unerbittlich, unabwendbar.
Alles war anders, als Dan noch hier war, dachte sie.
Dan war ihre Welt gewesen: Manager, Trainer, Beichtvater, Agent. Dan hatte sie in Philadelphia von der Straße aufgelesen und innerhalb kürzester Zeit zum Gespräch von Las Vegas, Paris und Bukarest gemacht. Dan hatte ihr Grazie beigebracht, sie gezwungen, gegen die Versuchungen von Speisen und Sex anzukämpfen, und ihr die besten Anstellungen verschafft.
Aber Dan war nicht mehr da. Sie hatten ihn gezogen, vor vier Jahren. Und seither war nichts mehr dasselbe.
Das Schlimmste aber war, dachte Cherry und riß damit die alte Wunde zum millionstenmal auf, daß sie mit ihm hätte gehen können. »Du kannst dich noch immer freiwillig melden«, hatte Dan gesagt, als sie an jenem Morgen hysterisch weinte. »Du kannst mit mir kommen, wohin immer ich auch gehe, wenn dir soviel daran liegt.« Und er hatte seine Hände im dichten dunklen Haar vergraben und auf Antwort gewartet, und sie hatte sich geweigert, auch nur etwas zu sagen.
Nun, was hättest DU an meiner Stelle getan? fragte sie heftig eine imaginäre Person. Sie war neunundzwanzig Jahre alt gewesen, hatte Geld im Überfluß gehabt, war im Mittelpunkt der vergnügungssüchtigen Welt gestanden. Er war zehn Jahre älter als sie. Sicherlich, sie hatte geglaubt, ihn zu lieben, aber kann irgend jemand sich dessen vollkommen sicher sein? Es war ihr zu schwergefallen, ihre Limousine aufzugeben und ihre Wohnung und ihren Liebling, die Tigerkatze, und ihr behagliches, luxuriöses, verwöhntes Leben, um ihm zu folgen, hinaus zu den Sternen.
So hatte sie gesagt, sie würde hierbleiben, und Dan hatte die Achseln gezuckt und gemeint, es wäre ohnedies besser so. Wahrscheinlich wäre sie gar nicht geeignet für das harte, rauhe Leben dort. Und er war gegangen und hatte sie zurückgelassen. Dann trat der Ernst des Lebens an sie heran.
Sie hatte den teuren Wagen verkauft und die Tigerkatze weggegeben; die Wohnung gehörte noch ihr, aber sonst nur noch sehr wenig. Sie hatte ihr bequemes, luxuriöses Leben verloren – und Dan. Ein Jahr, nachdem Dan für immer fortging, war sie eine überstürzte Heirat eingegangen, eine Ehe, die nur wenige Monate hielt. Und danach folgte das langsame Abwärtsgleiten. Und noch war sie nicht am Ende dieser Bahn. Jeden Morgen fühlte sie das deutlicher.
Cherry schüttelte traurig den Kopf, stellte die Kaffeetasse in den Abwaschautomaten und nahm eine Pille aus dem Medikamentenschrank. Diese wirkte praktisch sofort; ein wunderbares, jedoch künstlich hervorgerufenes Gefühl von Optimismus und Fröhlichkeit löste die schwermütige Stimmung ab. Sie drückte noch dreimal auf den Knopf, und weitere drei kleine gelbe Tabletten fielen heraus. Alle vier Stunden eine, und sie würde den Tag ohne Depressionszustände durchhalten; war die gute Laune auch nicht echt, so doch besser, als den ganzen Tag über Dan zu brüten.
Ein letzter Blick in den Spiegel: das Makeup war in Ordnung, die Frisur wirkte elegant. Dank der Pille schaute sie glücklich, begeistert, vital aus. Hinter dieser Maske würden die Etablissement-Leute wohl nicht die Trübsal erkennen.
»Guten Morgen, Miß Thomas«, ertönte eine Stimme, als sie den Fahrstuhl bestieg. An dessen Decke war ein Roboter angebracht, der die Aufgabe hatte, die Bewohner des Hauses zu begrüßen.
»Guten Morgen«, erwiderte sie. »Schöner Tag heute.« Keine Antwort. Das Elektronengehirn war nur für einen Satz programmiert. Aber sie gab den Gruß dennoch immer zurück.
Der Fahrstuhl
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