90 Tage auf Bewaehrung
erinnern sich: Ich war die mit der Jeans und dem Clayton-Farlow-Karohemd! So süß rustikal - ich schickte ein Dankgebet in den Himmel, dass ich wenigstens frisch gewaschene Haare hatte.
Andreas kam zu mir in die Küche, und ich begrüßte ihn freudestrahlend - was man halt so sagt. »Ich habe schon viel gehört, bla bla bla.« Und dann bat ich ihn, in der mir eigenen Zwitscher-Zwitscher-Art, mir bei den Kartoffeln zu helfen. Er war ja doch der Crack. Seine Antwort, mit verschränkten Armen vor der Brust und das Gesicht wie zu
einer grinsenden Faust geballt, kam unvermittelt: »Du bist doch diejenige, die mit Biolek gekocht hat!«
Upps, aha, verstehe. Er gab ganz eindeutig die Richtung für den weiteren Verlauf des Abends an. Ich wollte nichts weiter sein als die neue, verliebte Freundin meines Freundes. Er sah mich als bekloppte Fernseh-Tussi, die doch unter Garantie einen Hau haben musste.
Ja, und dann saßen wir also zu sechst am Tisch. Eigentlich nur zu fünft - ich wurde einfach ignoriert. Sie sprachen über Vergangenes, gemeinsam gesehene Filme, gemeinsame Urlaubserlebnisse, ab und zu fiel auch noch der Name seiner Ex. Ich war Luft. Das weiß ich deshalb, weil ich es ausprobiert habe. Wirklich. Zweimal ging ich hintereinander, mitten beim Essen, in die Küche. Zweimal hat’s niemand gemerkt - nicht mal mein Liebster, der völlig vertieft war in die schwachsinnigen Gespräche. Alle kehrten mir den Rücken zu. Hin und wieder habe ich es noch probiert mit einem locker ins Gespräch geworfenen »Kenn ich auch«, »Hab ich auch gesehen« oder »Wart ihr schon mal...« Nichts. Keiner spielte mit mir.
Ich schickte eine völlig verzweifelte SMS an meine Freundin Ronja. »Die sind so gemein zu mir«. Ronja antworte sofort: »Ach was, Süße. Du hast bist jetzt JEDEN zum Schmelzen gebracht. Ich weiß, dass du mir morgen sagen wirst: Boa, war doch noch ein netter Abend.« Ronja hatte eigentlich immer Recht, aber diesmal spürte ich, dass das Kind im Brunnen lag und die Kuh nicht mehr vom Eis zu holen war.
Das Einzige, was mir fehlte, war der Grund für das Verhalten. Ich begriff nicht, warum die vier Freunde von meinem Liebsten mir einfach keine Chance geben wollten. Eine einzige Frage richtete Gina, irgendwann Stunden später, an
mich. »Du arbeitest doch bei diesem Sender, wie heißt der noch, M…, M…, MDR? Ich hab da mal reingeguckt. ›Riverboat‹, oder? Ist ja nur was für alte Leute!« Dass diese Frau, irgendwas über 40, ein heftiges Problem mit ihrem Alter hat, erkannte ich sofort: nicht nur an Netzstrümpfen und Highheels.
Ich fauchte: »Zielgruppe ist so etwa dein Alter. Ein bisschen jünger vielleicht.«
Weitere Fragen wurden mir nicht gestellt, meine Fragen hat niemand beantwortet, dieser ganze Abend war für mich wie ein Alptraum. Nur als ich einmal kurz auf den Balkon ging, um zu rauchen, kam Gina mir nach und fragte nach meinem Hund, nach Ella. »Ja«, antwortete ich, »Möpse sind sehr sensibel. Sie kommen sofort, wenn man heult.«
»Was hast du denn in den letzten Wochen für einen Grund zum Heulen gehabt? Läuft doch alles.«
Aha, jetzt wusste ich, was los war: Eifersucht. Und zwar heftig, groß und viel. Ich habe ihnen ihren Freund genommen - so bescheuert können doch erwachsene Menschen gar nicht sein.
Ein Höhepunkt war die Verabschiedung. Alle mit Küsschen. Gina habe ich mir als Letzte aufgehoben und ihr demonstrativ meinen ausgestreckten Arm gereicht. Das saß! Offensichtlich. Denn am nächsten Tag bekam ich eine E-Mail von ihr, in der sie versuchte, ihr merkwürdiges Verhalten zu erklären »…möchte mich ein bisschen entschuldigen…, wollten dich unbedingt doof finden... Wir waren überrascht, dass du so authentisch warst.«
Übrigens hatte ich, nachdem »unsere« Gäste gegangen waren, noch ein interessantes Gespräch mit meinem Liebsten. Er fragte mich doch tatsächlich, wie ich denn den Abend und seine Freunde so fand. Ich schwör’s Ihnen: Hätte
ich gesagt, »nett, noch ein bisschen schüchtern«, hätte er geantwortet »Ja, ne?«. Doch ich entschied mich für die Wahrheit, ein heikles Thema, ich ging an die Substanz dieser Freundschaft. Für mich war der Abend grauenvoll. Und ich erklärte auch genau, warum: Ich brauchte seine Freunde nicht, ich hatte ja meine. Aber wie musste er sich fühlen, dass seine Freunde seine neue Liebe nicht mit offenen Armen willkommen heißen, sich nicht für ihn und sein Glück freuen wollten. Ich hatte ihm im Laufe der letzten Wochen 28
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