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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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lebendig. Ist das klar?«

Florenz
    Sonntag, 30. Oktober 1938
     
    Die gesungene Messe begann um zwölf Uhr mittags und endete nicht vor eins. Das Kirchenschiff der San-Marco-Basilika war mit Gläubigen überfüllt, die sich fast bis unter den Altar drängten. Unter dem Kreuz des heiligen Angelikus nahmen Mönche, Chorherren und Ministranten auf den langen Kirchenbänken Platz. Alle trugen die gleichen Gewänder, waren aber in den verschiedenen Stimmlagen aufgestellt – vom tiefsten Bariton bis zu den breit gefächerten Altstimmen. Einige, die sich nicht für den religiösen Inhalt der Messe interessierten, waren einfach nur deshalb gekommen, weil sie die gregorianischen Gesänge der letzten Messe des Monats genießen wollten. Einige Besucher, darunter fünf Männer mit ihren Familien, hatten aber noch ganz andere Gründe. Nach dem Introitus und dem Kyrie verschwanden sie unauffällig, einer nach dem anderen, durch das Querschiff und schlüpften durch eine kleine Seitentür. Sie gingen zielstrebig in den angrenzenden Sant’Antonino-Kreuzgang und erreichten schließlich das Innere von San Dominikus. Einem zufälligen Beobachter wären sie wie fünf Aristokraten erschienen, die keinerlei Interesse für die gesungene Messe aufbrachten, und an diesem schönen Tag in der klösterlichen Ruhe eine schöne Zigarette genießen wollten. Sie trugen allesamt bekannte Namen und stammten aus Familien, die seit Jahrhunderten miteinander befreundet waren und sich einmal pro Woche in der Accademia dei Georgofili trafen. Alle fünf gehörten zu einer Gruppierung, die sich Omega nannte. Die Mitglieder wechselten zwar im Laufe der Zeit, aber das Ziel war seit fünfhundert Jahren immer noch ein und dasselbe.
    Das wichtigste Mitglied unter ihnen fehlte allerdings: Giacomo de Mola, der Hüter. Sie waren seinetwegen gekommen, denn sie mussten nun, nachdem das Manuskript verschwunden war, eine neue Strategie festlegen. Sie waren vor der Statue von San Dominikus, der auf die Häresie tritt, stehen geblieben. Die Häresie wurde von einer nackten Frau mit verzweifeltem Gesichtsausdruck und mageren, von einem Buch bedeckten Hängebrüsten dargestellt. In ihrem Arm verbiss sich ein Hund – eine Gruppierung aus Marmor, die obszön und ketzerisch zugleich erschien.
    »Und so hat also der heilige Dominikus am Ende doch gewonnen«, sagte einer der Anwesenden und betrachtete nachdenklich die Skulptur.
    »De Mola trifft keine Schuld.«
    »Er hat getan, was getan werden musste«, sagte der, der über die größte Autorität zu verfügen schien. »Das Absurde ist, dass er im Moment nicht in Gefahr sein dürfte, aber es trotzdem sicherer ist, wenn er im Verborgenen bleibt.«
    »Er könnte hierher zurückkehren«, sagte einer und drückte seine Zigarette auf der Marmorskulptur aus.
    »Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Auch hier. Wir alle sind in Gefahr.«
    »Gabriel, denkst du an Volpe? Seitdem er verschwunden ist, bin ich noch nervöser.«
    »Nein, er weiß nichts über uns. Vielleicht ist er ja nach Deutschland geflohen.«
    »Nach Deutschland? Glaubst du, dass es die Deutschen waren, die das Buch gestohlen haben?«
    »So, wie die Dinge gelaufen sind, ist es das Wahrscheinlichste.«
    »Aus welchem Grund?«
    »In Deutschland übt die Kirche, obwohl sie dem Regime zu Diensten ist, immer noch einen großen Einfluss auf die Bevölkerung aus. Der böse Mann mit Schnauzbart toleriert die Kirche zwar; er weiß jedoch, dass sie eine Gefahr für ihn werden könnte. Das Buch könnte ihre Autorität untergraben und das Reich zu einer Ersatzreligion werden lassen.«
    »Gott sei mit uns …«, fügte Raffael nachdenklich hinzu.
    »In meinen Augen geht es den Deutschen um noch viel mehr: Hier wird der Grundstein für die Vergöttlichung Hitlers gelegt.«
    »Dann ist es aus. Wenn dies geschieht, sollten wir uns auflösen«, sagte Zachiel nach einer Weile in die Stille.
    »Nein. Das können wir immer noch tun, wenn wir merken, dass wirklich gar nichts mehr zu machen ist. Bis dahin bleiben wir zusammen und hoffen weiter.«
    »Hoffen worauf, Gabriel?«
    »Auf unsere Mutter, zum Beispiel. Oder auf die Arroganz derjenigen, die auf den Sieg der Mächtigen hoffen. Wir werden es bald wissen, meine Herren«, beendete er die Unterhaltung und ließ einen schwarzen Aschestreifen auf dem Fuß der Häresie zurück, als er seine Zigarette ausdrückte. »Wir sehen uns wie üblich nächste Woche in der Akademie.«

Die Wewelsburg
    Dienstag, 2. November 1938
     
    Der

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