999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
sich.
Giovanni war sichtlich überrascht, in dieser ungezwungenen Atmosphäre vom Papst höchstpersönlich in Empfang genommen zu werden. Während ihm Innozenz in die Wangen kniff, machte Giovanni eine tadellose Verbeugung und küsste den päpstlichen Siegelring, der das Petrussymbol und das Wappen des Hauses der Cibo trug. Giovanni und der Papst lächelten einander an.
»Eure Heiligkeit.«
»Setz dich, mein Sohn, und erzähl mir alles.«
»In Wahrheit wart Ihr es, der mich rufen ließ, Eure Heiligkeit.«
»Möchtest du beichten? Hast du irgendeine kleine Sünde, die nur der Papst richten kann?«
»Ich habe erst gestern gebeichtet, und obwohl ich ein Sünder bin, sind seitdem doch zu wenig Stunden vergangen, um neue zu begehen.«
»Man weiß ja nie, vielleicht haben sich ja des Nachts ungehörige Gedanken deiner bemächtigt … Ich möchte meinen, dass so manche Dame sich mit einem jungen Herrn deines Aussehens – der noch dazu reich und von edler Herkunft ist – nur zu gerne vergnügen würde.«
»Ich habe heute Nacht tief und fest geschlafen, Eure Heiligkeit. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Schon gut, schon gut«, maulte Innozenz verdrießlich. »Jedenfalls: Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris et Filii, et Spiritus Sancti «, fuhr er hastig fort.
»Amen.«
»Und nun, da wir unsere Seelen gereinigt haben, können wir frei von der Leber sprechen. Sage mir, Giovanni, was gedenkst du zu tun?«
»Nach meinem Gewissen zu leben, Eure Heiligkeit.«
»Ach, ach, ach, du gefällst mir, Giovanni, und ich wünsche mir, dass dir nie etwas zustoßen möge.«
Der Ton war scherzhaft, aber die Worte trafen Giovanni wie ein Dolchstoß, und er bereitete sich sofort auf den nächsten Angriff vor.
»Mit dem Schutz Eurer Heiligkeit kann mir nichts geschehen«, sagte er demütig.
»Gut, auch das gefällt mir. Unter meinem Schutz zu stehen ist besser, als unter dem dieser Geldverleiher, der de’ Medici – die weit weg sind.«
»Lorenzo lässt mir die Ehre seiner Freundschaft zuteilwerden, Eure Heiligkeit.«
»Ja, ja, aber jetzt lass uns auf den Grund deiner Anwesenheit zurückkommen. Was soll die Geschichte mit diesen Thesen, die du veröffentlicht hast? Stimmt es, dass du mir ins Handwerk pfuschen und ausgerechnet in Rom ein Konzil einberufen willst? Du bist nicht einmal ein Kardinal. Obwohl … wenn ich es recht bedenke … man könnte dich natürlich auch flugs ernennen … Es würde dich nicht sehr viel kosten, und ich könnte dir zusätzlich eine nicht unbeträchtliche Kommende zuteilwerden lassen. Aber über diese Feinheiten werden wir noch sprechen«, sagte Innozenz händereibend. »Nun sag schon, Giovanni, tu einfach so, als wäre ich dein Beichtvater, dessen Aufgabe es nicht nur ist, dich von den begangenen Sünden freizusprechen, sondern auch, dich davor zu bewahren, neue zu begehen.«
Giovanni faltete die Hände und senkte das Haupt. Diese Pause ermöglichte ihm, seine Ideen neu zu ordnen. Der Papst wusste offensichtlich schon alles, weit mehr, als er erwartet hatte – und das Schlimmste war, dass Seine Heiligkeit es nicht von ihm persönlich erfahren hatte. Giovanni musste sich jetzt sehr in Acht nehmen. Er stand vor einem der mächtigsten Männer der Erde, und er war Gast in dessen Haus. Ein Wimpernschlag des Papstes würde genügen, dass er als Gefangener ging. Innozenz hatte ihm eine kleine Chance gegeben, und die musste er zu seinem Vorteil nutzen – wohl wissend, dass Seine Heiligkeit nicht dumm war.
»Meine Thesen«, sagte Giovanni sehr ruhig, »sind Früchte einer langen Reihe von Studien und Meditationen. Sie zielen einzig auf das tiefe Erkennen der Wahrheit und der Schöpfung – zur größeren Glorie der Schöpfung. Und das, was Eure Heiligkeit Konzil nennen, ist nur ein zwangloses Zusammentreffen verschiedener religiöser Gelehrter, die öffentlich – und nicht in der Abgeschiedenheit ihrer Studierzimmer – disputieren möchten, was ich mit meinen Thesen vertrete. Es sind Thesen, Eure Heiligkeit, denen Antithesen gegenübergestellt werden können, um schlussendlich zu einer Synthese zu gelangen, wenn es Gott gefällt.«
»Wie schön du redest, Giovanni. Aber stimmt es, dass du auch Juden und Muselmanen eingeladen hast?«
»Ja, Eure Heiligkeit, weil ich daran glaube, dass unser Schöpfer der Einzige ist.«
»Du möchtest also sagen, dass du sie überzeugen willst, ihrer Religion abzuschwören und den einzig wahren Glauben zu umarmen, ja? Den Glauben an die Heilige
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