999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Römische Apostolische Kirche?«
Giovanni entging es nicht, dass auf Innozenz’ Tonsur kleine Schweißperlen standen. Ein Tropfen lief ihm bereits die Hakennase hinab. Der Papst wischte ihn mit einer hastigen Geste weg und betrachtete missmutig den feuchten Fleck auf seinem grünen Handschuh.
»Meine Thesen sind vom Schöpfer inspiriert, und der, der das Gute kennt, hat es leicht, ihnen zu folgen. Das erkannte bereits Platon.«
»So sei es, Giovanni. Wie viele Exemplare hast du drucken lassen? Und wie viele davon befinden sich noch in deinem Besitz?«
»Fünfhundert Exemplare, Eure Heiligkeit. Davon habe ich noch hundert.«
»Gib sie mir alle.«
»Ich verstehe nicht, Eure Heiligkeit?«
»Gib sie mir, Giovanni, denn ich habe viele Leser. Du willst den tüchtigen Glaubensgelehrten des Papstes doch nicht die Lektüre deiner Thesen vorenthalten?«
»Nein, Eure Heiligkeit, ich muss sie aber bis nach Florenz bringen.«
»Gut, Giovanni. Dann lass uns folgendermaßen vorgehen: Ich werde dir erlauben, das Konzil abzuhalten, wenn deine Thesen wohlwollend begutachtet worden sind. Ja, wir halten es sogar gemeinsam ab. Und vorher werde ich dich zum Kardinal ernennen.« Innozenz lächelte. »Wer weiß, mit deiner Intelligenz wirst du vielleicht eines Tages selbst noch zum Papst gewählt!«, sagte er. »Schließlich mangelt es dir weder an Geld noch an Rückendeckung. Denke über meinen Vorschlag nach, Giovanni, und nun geh. Der arme Papst muss seine täglichen Gebete beten.«
Giovanni antwortete nicht und kniete nieder, um den Ring erneut zu küssen. Er brannte ihm auf den Lippen, des Schweißes oder der Drohungen wegen, vermochte er nicht zu sagen. Abscheu, Wut und Ohnmacht überschwemmten seine Seele, und sobald Innozenz den Raum verlassen hatte, stürmte auch Giovanni hinaus.
Gedankenversunken ging er den Kreuzgang entlang, als eine robuste Hand ihn von hinten an der Schulter packte.
»Geht nach Florenz, gleich morgen«, murmelte es in Giovannis Rücken. »Rom ist nicht mehr sicher für Euch. Nehmt ein Landhaus in der Nähe von Fiesole und wartet dort.«
Erschrocken drehte sich Giovanni um und sah den Mann an, der ihn aufgehalten hatte. Er war hochgewachsen und robust und trug einen markanten, silbrig glänzenden Kinnbart. Der Unbekannte war bis zu den Beinkleidern in Schwarz gekleidet. Dazu trug er ein goldbesticktes Wams. Er war zweifellos ein Edelmann – obwohl er an der Seite ein zweihändiges Schlachtenschwert trug, das im Gegensatz zu den kleineren Halbschwertern, die gepanzerte und reichverzierte Griffe hatten und von den jungen Edelleuten getragen wurden, schwerer und vor allem schmucklos war. Diese mörderische Waffe konnte auf alle erdenklichen Arten eingesetzt werden: mit der Spitze, der Klinge, schräg von unten und von oben – aber der ungeschützte Griff in Kreuzform gewährte im Gegensatz zu dem gepanzerten Griff des Halbschwertes keinen Schutz und verzieh keinen Fehler.
»Ihr müsst mich mit jemandem verwechseln«, sagte Giovanni bestimmt, aber freundlich.
»Nein, Graf Mirandola. Ich weiß, was ich sage. Bitte tut, was ich Euch rate. Sobald Ihr in Sicherheit seid, werden wir uns wieder treffen.«
Der bärtige Mann ließ Giovanni los und hastete dann die Treppen hinauf, ohne sich noch einmal umzusehen. Instinktiv massierte sich Giovanni die schmerzende Schulter. Sie fühlte sich an, als sei sie von einem Schraubstock traktiert worden. Dann ordnete Giovanni seinen Umhang und verließ das Gebäude durch einen Seitenausgang und ging auf schnellstem Weg nach Hause: Eilig durchquerte er den alten Borgo mit seinen vielen kleinen Häusern, die sich wie steinerne Bettler um die Basilika versammelt hatten. Die Gassen waren dreckig von der Jauche, die die Menschen einfach aus den Fenstern leerten, und er musste sich seinen Weg durch Scharen von grell geschminkten Prostituierten bahnen – viele davon beinahe noch Kinder. Dieser Mann konnte jeder sein, überlegte Giovanni, ein unbekannter Freund, ein Spion der Cibo oder gar ein Spitzel des Papstes, der ihm einen Denkzettel verpassen wollte. Giovanni wusste nur, dass er die Stadt nicht verlassen würde, wie ihm der Unbekannte ans Herz gelegt hatte: Morgen wollte er sich mit Margherita treffen – um jeden Preis, selbst den des eigenen Lebens. Außerdem hatte er in den folgenden Tagen noch eine Verabredung, mit der sein gesamter Plan stand oder fiel. Zwischen all dem Dreck, der Kälte, den Huren, den Kupplern, dem Fäulnisgestank, den hungrigen Ratten und
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