999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
gebräuchlich ist. Und um das Problem meistern zu können, wäre es also angebracht, dass ich etwas über diesen Schreiber und Buchbinder wüsste.«
»Fein, Cristoforo, dann höre: Wir befinden uns sozusagen im Krieg, und hier«, er deutete auf das Buch, »ist der Feind, den wir besiegen müssen. Über den Autor musst du nur wissen, dass es einer ist, der versucht hat, meine Autorität in Frage zu stellen.«
»Ein Teutone?«
»Nein, nein. Aber warum sagst du Teutone? Weißt du etwas, das ich nicht weiß?«
»Nein, wirklich nicht, Vater. Aber ich weiß, dass Ihr im germanischen Reich Feinde habt und dass Ihr Dominikanermönche dorthin entsandt habt …«
»Nein, die Toitonen haben nichts damit zu tun. Diese schöne Bescherung hat ein Italiener, ein Edelmann angerichtet, der mir eigentlich sogar gefiel – bis er sich gegen mich wandte, jedenfalls.«
»Und er heißt …«
»Giovanni Pico della Mirandola«, sagte der Papst in einem Atemzug.
Cristoforo sah seinen Vater an: Der Papst schien fast ängstlich zu sein. So sah Cristoforo ihn zum ersten Mal.
»Ich kenne ihn nicht persönlich«, sagte der junge Mann nachdenklich. »Aber ich weiß um seinen Ruf, der ihm vorauseilt … Wenn er das getan hat, wird es nicht einfach werden, die Seiten zu lösen. Um diese Schriften zu schützen, wird er gleich mehrere, verschiedene Techniken angewandt haben. Ich schließe sogar nicht aus, dass er sie vielleicht mit Arsenik getränkt hat.«
»Was ist das?«
»Ein Gift, Vater …«
Seine Gicht vergessend, sprang Innozenz auf und begann sich seine Hände zu reiben – als wolle er sich von dem Gift befreien, mit dem er versehentlich in Kontakt gekommen war.
»Ein Gift …«, sagte er und schaute seinen Sohn an, als sei dieser von einem Dämon besessen.
»Ja, Vater. Es wird aus Arsen gewonnen, das mit dem Saft verfaulter Eingeweide vermischt wurde – von Tieren, die ihrerseits mit Arsen vergiftet wurden. Eine tödliche Mischung, die man auch erhält, wenn man Urin mit …«
»Basta, Cristoforo. Du kennst die Geheimnisse der Pulver und die Macht der Alchimie des Abendlandes. Das reicht. Ich muss gar nicht eingeweiht sein. Öffne einfach diese von Luzifer verfluchten Seiten. Aber sei auf der Hut – ich will weder dich noch das Buch verlieren.«
Auf der Via Flaminia
Samstag, 30. Dezember 1486
Im Städtchen Orte musste Giovanni den Wagen wechseln. Gemeinsam mit dem Abt stieg er in eine andere Kutsche, die sie nach Nocera bringen würde. Die Frau und ihr Sohn fuhren weiter, und ihre Wege trennten sich hier. Kurz bevor ihre Reise in dem neuen Gefährt weiterging, stieg bei Giovanni und dem Abt ein Mann zu, der sich ohne viele Worte in seinen dicken Umhang wickelte und sofort einschlief. Der Abt, der sich mit dem Namen Guidobaldo Cavalli vorgestellt hatte, las zeitweise in einem kleinen, wertvoll aussehenden Buch und stellte viele Fragen. Zu viele Fragen nach Giovannis Geschmack. Unter anderem wollte er seinen Namen wissen.
»Giovanni Leone«, antwortete Giovanni prompt – wie es auf seinem Passierschein stand. Den Nachnamen Leone hatte er zu Ehren Leonoras gewählt. Seinen Vornamen Giovanni hatte er mit Absicht belassen, um sich nicht durch eine spontane Reaktion zu verraten, falls ihn überraschend jemand beim Namen rief.
In der Hoffnung, dass der Abt früher oder später mit seiner Fragerei aufhören würde, nahm Giovanni mittlerweile nur noch sehr einsilbig an der Konversation teil. Als sie in der Stadt Ferentillo ankamen, deren Statthalter Fränzchen Cibo war, näherte sich dem Karren eine Horde Soldaten. Der Kommandant ließ die Reisenden wissen, dass er den Befehl erhalten hatte, ihnen Geleitschutz zu geben, weil es zu Übergriffen von Briganten gekommen war; und so schlugen sie ihr Nachtlager innerhalb der Stadtmauern auf.
Am folgenden Tag, während einer ihrer vielen Pausen, beobachtete Giovanni mit Argwohn, wie der Abt in Castel Ritaldi eindringlich mit dem Kommandanten der Wachen sprach. Ja, es schien sogar, als würde der Abt ihm Befehle erteilen. Giovanni schwante Böses. Würde seine Tarnung auffliegen? Als sich ein bewaffneter Mann neben den Kutscher setzte, dessen gesamtes Gesicht von einem schweren Umhang verborgen war, bekam Giovanni es beinahe mit der Angst zu tun. Angesichts der beißenden Kälte vermummten sich alle Reisenden, die sich keine Fahrt in der Kutsche leisten konnten, derartig. Allerdings war mittlerweile der dritte Mitreisende verschwunden. Damit blieben nur noch er und der Abt übrig;
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