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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Blanko-Passierschein, der auf dem gesamten päpstlichen Territorium gültig war, besorgt. Sie hatte ihn von einem Gastwirt, der ihn beim Kartenspiel von einem Papstgardisten gewonnen hatte. Giovanni trug den Namen ein, unter dem er reisen würde – Giovanni Leone. Er würde sich von Rom nach Umbrien und von dort durch die Territorien der Kirche bis nach Florenz durchschlagen, hatte er beschlossen.
    Bevor er aufbrach, befahl ihm Leonora, sich noch die Haare zu schneiden. Sie legte höchstpersönlich Hand an und riet ihm zudem, sich während der nächsten Wochen auch nicht den Bart zu stutzen.
    Giovanni nickte gehorsam und legte das Gewand an, das Leonora ihm besorgt hatte: Einen schwarzen Samtumhang, der bis über die Knie reichte, ein Paar helle Beinkleider und ein Paar geschnürte Lederstiefel. Damit sah Giovanni aus wie ein gewöhnlicher Kaufmann und fiel nicht weiter auf. Der Mann, der schließlich die Stadt verließ, erinnerte in nichts mehr an den jungen Adligen, der vor ein paar Monaten in die Stadt gekommen war.
    Sie würde auf Nachricht von ihm warten, sagte Leonora zum Abschied. Und dass sie sicher sei, dass sich alles zum Guten wenden würde. Sie umarmte Giovanni und hielt ihn einige Augenblicke eng an sich gedrückt. Dann atmete sie aus und stieß ihn abrupt weg, als wolle sie ihn davonjagen.
    Giovanni hatte Glück: Er fand sofort eine Mitfahrgelegenheit auf einer Reisekutsche mit insgesamt sechs Plätzen. Drei davon waren schon belegt mit einer Frau und einem Jüngling, der wahrscheinlich ihr Sohn war, sowie einem Abt. Am Zollposten wurden ihre Passierscheine kontrolliert, aber der Zöllner schaute nur flüchtig auf die Dokumente und ließ den Tross durch. Nach ein paar hundert Metern schaute Giovanni zurück und sah noch einmal den Glockenturm der Petersbasilika. Dann zog er sich den langen Schal, der seine Kappe dekorierte, ins Gesicht, schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Auf dem holprigen Kopfsteinpflaster, das noch aus den Zeiten des antiken Rom stammte, kam die Kutsche nur langsam voran. Das rhythmische Schaukeln wiegte den Fliehenden schließlich in den Schlaf.
    In Civita Castellana machten sie ein paar Stunden Rast, damit sich Mensch und Tier ausruhen konnten, und während sie auf die Weiterfahrt warteten, spielte der Junge auf dem Vorplatz unter den wachsamen Augen seiner Mutter mit einem Tonkreisel. Der Abt hingegen nahm die Gelegenheit wahr, sich Giovanni zu nähern.
    »Wohin fahrt Ihr, junger Herr?«, fragte der Kirchenmann neugierig.
    Giovanni wurde sofort misstrauisch. Er musste auf der Hut sein, wenigstens bis er die Republik von Florenz erreicht hatte.
    »Nach Nocera Umbra, Abt«, antwortete Giovanni, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass Florenz sein Ziel war, »ich möchte in der San-Francesco-Kirche ein Bußgelübde ablegen.«
    »Das trifft sich gut«, antwortete der Abt erfreut, »dorthin führt mein Weg auch. Wir könnten zusammen reisen und uns angenehm unterhalten und dabei Rosenkränze beten, wenn es Euch gefällt«, fügte er hinzu und nahm seinen Zwicker aus Eisendraht von der Nase, um Giovanni besser ins Gesicht sehen zu können.
    Seine wässrigen Augen und sein falsches Lächeln gefielen Giovanni nicht, aber nichtsdestotrotz nahm er – mit einem leichten Nicken und einer Grimasse, die fast schon an Unhöflichkeit grenzte – das Angebot des Abtes an. Dass er nun gezwungen war, bis nach Nocera Umbra zu gehen, um sich von dieser unliebsamen Begleitung zu befreien, bereitete ihm Unbehagen.

Rom
    Mittwoch, 27. Dezember 1486
     
    Komm, Cristoforo, komm, mein Sohn.«
    Innozenz hatte Tränen in den Augen, und da er gerührt sein wollte, war er es dann auch wirklich. In Wahrheit flossen seine Augen jedoch noch aus einem anderen Grund über – wie so oft in jüngerer Zeit: Seine Bader hatten eine Cataracta bei ihm diagnostiziert. Als strenge Verfechter der hippokratischen Theorie über die Körperflüssigkeiten hatten sie Seiner Heiligkeit erklärt, dass alles von oben nach unten falle und sein Augenlicht deshalb immer schwächer werde. Um sich von dieser leidigen Unannehmlichkeit zu befreien, hatten sie ihm geraten, sich an die Mönche aus Sant’Eutizio zu wenden. In den nahen Sabiner Bergen widmeten sie sich bereits seit langer Zeit der Kunst des Cataracta-Heilens. Als Innozenz die Mönche jedoch rufen ließ und die chirurgischen Instrumente sah, die bei seinen heiligen Augen zum Einsatz kommen sollten, ließ er sie hinauswerfen: Es stimmte, dass er immer schlechter sah

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