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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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und zu Giovannis Missmut hatte dieser inzwischen aufgehört zu lesen und starrte ihn interessiert an.
    Giovanni schloss die Augen und dachte über seine Lage nach: Bei einer genaueren Kontrolle seiner Dokumente würde unweigerlich herauskommen, dass der Passierschein eine Fälschung war – und dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis seine wahre Identität aufgedeckt würde. Andererseits: Wenn er nun einfach die Kutsche verließe und klammheimlich seiner Wege ginge, käme das einem Schuldeingeständnis gleich. Nein, ihm blieb nur eines: Bis nach Nocera Umbra zu reisen und sich nichts anmerken zu lassen. Mit etwas Glück würde er dann versuchen, die Grenzen der florentinischen Republik zu erreichen. Wenn er das geschafft hätte, würde er an der Grenze nur noch den Namen Lorenzo de’ Medici erwähnen müssen, um von den Grenzsoldaten sicheres Geleit bis nach Florenz zu bekommen.
    »Eure Hände sind nicht die eines Kaufmanns, Herr.«
    Aus heiterem Himmel hatte die Stimme des Abtes die lange Stille unterbrochen.
    »Verzeiht, mein teurer Abt, aber ich bin müde und würde mich gerne ausruhen.«
    Der Abt lächelte.
    »Oh, ich kenne die menschliche Natur nur allzu gut und die Sünden, die sie zu verstecken sucht. Sagt, Herr, erzählt mir, was Ihr zu verbergen habt.«
    »Meine Sünden kennt nur mein Beichtvater«, antwortete Giovanni und erwiderte sein Lächeln, »und Ihr seid es nicht.«
    »Erzählt mir nur von Eurer letzten Sünde.«
    »In Orte habe ich die Frau des Wirtes gesehen, die nackt in eben dem Bottich badete, in dem auch unsere Teller, von denen wir gegessen hatten, gereinigt wurden. Meine Sünde bestand darin, dass ich, statt das Weib zu tadeln, meinen Reisebegleitern aus Scham nichts davon erzählte.«
    Der Abt machte ein angewidertes Gesicht und hielt sich ein duftendes Taschentuch vor die Nase. Erst nachdem er lange und intensiv den Geruch eingeatmet hatte, kehrte er wieder zu ihrer Unterhaltung zurück.
    »Nun, Herr … Leone, Ihr seid zu fein und gebildet, um ein Kaufmann zu sein. Ich frage Euch also noch einmal: Was habt Ihr zu verbergen?«
    Das Duell hatte begonnen. Giovanni durfte nicht zu viel über sich verraten; andererseits würde er aber noch mehr Verdacht erregen, wenn er sich der Unterhaltung komplett verweigerte.
    »Nicht mehr, als Ihr auch verbergt, mein teurer Abt«, antwortete er deshalb ausweichend. »Ihr schmeichelt mir, doch ich sehe mich nicht in der Lage, solch eine Konversation zu bestehen. Das, was Ihr Raffinesse und Kultur nennt, ist die Summe meiner Erfahrungen, die ich als Kaufmann im Laufe meines Lebens sammeln konnte.«
    »Und mit welchen Erfahrungen seid Ihr zu Weisheit gelangt: Was verkauft Ihr denn?«
    »Stoffe, Abt, Stoffe jeder Art. Von den einfachsten bis zu den edelsten. Dieses Geschäft erlernte ich von meinem Vater, der leider vor ein paar Jahren von mir ging.«
    »Könntet Ihr mir ein paar Stoffe zeigen? Habt Ihr sie in Eurer Satteltasche?«, fragte der Abt eifrig und deutete auf die Tasche, von der Giovanni sich nie trennte.
    »Nein, ich bin untröstlich. Die Stoffe reisen mit meinem Diener. Ich trage nur ein paar persönliche Dinge bei mir.«
    »Schade. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Dann werde ich also in Nocera die Ehre haben, Eure Ware begutachten zu dürfen. Ich könnte ein guter Kunde werden«, fügte er lächelnd hinzu.
    »Leider nicht, werter Abt. Nachdem ich mein Gelübde geleistet habe, werde ich mich mit weiteren Kaufleuten in Sant’Elpidio treffen, um ein Schiff nach Venedig zu besteigen.«
    »Ihr lasst mich auf dem Trockenen sitzen, na so etwas. Und wo ist Euer Kaufladen dann lokalisiert?«
    »In Arezzo«, antwortete Giovanni, ohne nachzudenken – und bereute seine Antwort sofort.
    »Ah, auf dem Territorium der Republik. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr gute Beziehungen zu Bischof Gentile de’ Becchi unterhaltet. Ein großer Mann, denn er hat seinen diplomatischen Werdegang aufgegeben, um unserem Herrn zu dienen.«
    Giovanni hatte nie von diesem Bischof gehört. War es eine Falle? Was sollte er jetzt sagen? Dass er ihn kannte? Aber wenn es ihn gar nicht gab?
    »Nun, kennt Ihr ihn?«, hakte der Abt nach.
    In diesem Moment sprang der Mann, der oben neben dem Kutscher Platz genommen hatte, behände in das Reiseabteil der Kutsche. Giovanni erkannte den silbernen Spitzbart des Mannes, den er vor der Petersbasilika getroffen und der ihn anschließend in der Santo-Spirito-Kirche gerettet hatte. Er erkannte auch das schwere

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