999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
man Euch wahrscheinlich entdeckt hatte oder Ihr zumindest verdächtigt wurdet.«
»Ich bin Euch wirklich dankbar.«
»Das glaube ich gerne«, sagte Ferruccio übermütig. »Aber nun seid Ihr es, der mir helfen müsst.«
»Wie?«
»Die Soldaten, die uns begleiten, sind mittlerweile in Alarmbereitschaft und auf ein Zeichen des Abts bereit zu handeln.«
»… der mittlerweile tot ist.«
»… der gerade schläft, Graf, seht Ihr das nicht? Und er hat verlangt, nicht gestört zu werden. Habt Ihr das schon vergessen?«
Die Kutsche machte einen Schlag, und der tote Abt rutschte zu Boden. Ferruccio hob ihn hoch und brachte ihn erneut in Position. Dann legte er dem Toten einen Gürtel um die Hüften, den er aus der Innenverkleidung der Kutsche gerissen hatte, und band ihn an der Rückenlehne fest. Damit nichts von dieser waghalsigen Konstruktion zu sehen war, bedeckte er ihn zum Schluss sorgfältig mit dem Umhang.
»Sie sind zu viert, Graf, und es wird nicht einfach sein, sie loszuwerden. Es ist wichtig, dass sie nicht merken, was dem Abt zugestoßen ist. Bis jetzt glauben sie nur, dass sich in der Kutsche eine wichtige Persönlichkeit befindet, auf die ein hohes Kopfgeld ausgesetzt wurde – darum werden sie Euch unversehrt lassen. Zum richtigen Zeitpunkt werde ich Euch ein Zeichen geben, dann gebt Ihr vor, Euch sei unwohl, und sagt, dass Ihr eine Pause braucht. Ihr lasst Euch beim Absteigen helfen, und so lange kümmere ich mich um den Rest.«
* * *
Eine Stunde später lagen die Leichen der vier Männer feinsäuberlich nebeneinander hinter der Kutsche. Ferruccio, der eine leichte Schulterverletzung hatte, musste sich anstrengen, um sie von der Straße wegzuzerren und sie in einen Graben zu stoßen, der zwar nicht besonders tief, dafür aber gut unter wuchernden Erikabüschen verborgen war. Die rötliche Farbe des Unterholzes überdeckte vortrefflich das Blut auf den Leichen. Zum Schluss kam der Abt an die Reihe. Sie rissen ihm hastig die Kleider vom Leib, Ferruccio verscharrte den Körper notdürftig, und Giovanni zog sich derweil die Kleider des Abtes an, wie sein Retter ihn angewiesen hatte.
»Ihr seht nicht wie ein Mann der Kirche aus, Graf. Versucht, ein wenig ernster dreinzublicken.«
»Ferruccio, ich fühle mich auch sehr ernst. Der Weg meiner Thesen ist mittlerweile mit Leichen gepflastert.«
»Welche Thesen?«
Weil Giovanni nicht antwortete, stieg Ferruccio in die Kutsche und gab dem Kutscher Anweisung weiterzufahren. Während des ungleichen Kampfes war der Kutscher ruhig und teilnahmslos sitzen geblieben – so wie es ihm der Ritter befohlen hatte. Was aus dem Fremden würde, war dem Kutscher herzlich egal gewesen; sein Gehorsam war allein den Münzen geschuldet, die Ferruccio ihm zugesteckt hatte. Und er hatte es sogar heimlich genossen mit anzusehen, wie die Schergen des Papstes – einer nach dem anderen – ihr Leben lassen mussten.
Als die Räder wieder rollten, lehnte Giovanni sich erleichtert zurück. Er hätte gern mehr über seinen Retter erfahren, war sich jedoch im Klaren, dass er vorerst keine Antworten auf seine vielen Fragen erhalten würde. Er war sich nur einer Sache gewiss – und zwar, dass er diesem Ritter sich selbst und vor allen Dingen das Buch anvertrauen konnte.
»Wo gehen wir nun hin?«, fragte Giovanni.
»Nach Florenz, Graf«, antwortete Ferruccio fröhlich und schien sich überhaupt keine Gedanken darüber zu machen, dass er gerade fünf Männer getötet hatte.
»Der Kutscher wird uns bis in die Hölle fahren, bei der ganzen Angst, die er hatte, und den Goldmünzen, die ich ihm gegeben habe. Wenn er alles richtig macht, bekommt er noch mehr und wird sich eine ganze Armee von Postkutschen kaufen können, die von hier bis nach Paris fahren. Seine Aufgabe ist es, uns so schnell wie möglich von hier fortzubringen. Sobald Fränzchens Häscher das Verschwinden der Kutsche und der Männer bemerken, was früher oder später passieren wird, hetzen sie uns ein ganzes von Cherubinen und Seraphinen unterstütztes Regiment auf den Hals. Außerdem vermute ich, dass der Prächtige bereits auf uns wartet. Mir wurde gesagt, dass Ihr das kostbare Geschenk mit Euch führt.«
Giovanni hätte lieber einen Peitschenhieb auf seinen nackten Rücken verpasst bekommen, als diese letzten Worte gehört. Das bedeutete, dass auch Lorenzo mittlerweile Bescheid wusste. Vor ihm würde er aber nicht so einfach wie vor Innozenz’ Soldaten flüchten können: Lorenzo war nicht nur überaus mächtig,
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