999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
ihm schritten 20 Kardinäle und hinter ihm 40 Bischöfe. Er selbst saß auf seinem Papstthron, der von den päpstlichen Sänftenträgern, heute in purpurnen Damastgewändern, getragen wurde. Mit seinen weiß behandschuhten Händen segnete Innozenz die vielen anwesenden Adligen und Kaufleute, die an der heiligen Messe teilnahmen.
Fränzchen stand bereits mit Kardinalvikar Sansoni in der großen Sakristei der Basilika, um mit ernster Miene die Bittsteller zu empfangen. Eine Horde Menschen drängte sich bereits so ungeduldig vor dem Eingang, dass die Gardisten sie kaum in Schach halten konnten. Auf dem imposanten Eichenschreibtisch lagen Pergamentrollen; einige davon waren bereits mit dem Papstsiegel versehen, das Fränzchen an seinem Gürtel trug. Auf diese Gelegenheiten wartete er das ganze Jahr über – an Weihnachten und Ostern wurden die meisten Ablasse verkauft. Dem letzten Papst, dem guten della Rovere, sei Dank, hatte sich der Handel mit Ablassbriefen zu einem florierenden Geschäft für die Kirche entwickelt. Fränzchen lächelte selbstgefällig. Sein Verdienst war es, dass der Kommerz noch weiter ausgebaut worden war und die Tarife mittlerweile auch für die ärmeren Sünder erschwinglich waren: Die Preise für einen Ablassbrief richteten sich nun nicht mehr nach der Schwere der begangenen Sünden, sondern jeder zahlte das, was in seinen Möglichkeiten stand.
Fränzchens Verkäufe standen unter einem guten Stern, denn am Tag zuvor hatte der Kardinal und Cousin des Ludovico Orsini, Giovanni Battista, sich zu Tode erschreckt, als ein gewaltiger Blitz in den Turm der feindlichen Orsini eingeschlagen hatte. Der Papst hatte dieses Ereignis zum Anlass genommen, seine feierliche Predigt damit zu würzen. Der Blitz, hatte Innozenz mit donnernder Stimme gepredigt, sei wie der göttliche Zorn – und dann hatte er das Fegefeuer und das Inferno so grauenvoll und schrecklich beschrieben, dass Fränzchen sich entschlossen hatte, sich einen »Totalerlass« seiner Sünden zu gönnen, indem er seinen Namen neben das Siegel des Statthalters von Jesu Christi setzte – natürlich ohne einen Heller dafür zu bezahlen.
Wie er hörte, hatte Cristoforo sich endlich aus Genua auf den Weg gemacht, um ihrem Vater mit seinen alchimistischen und chemischen Künsten zu Diensten zu sein. Die Vorfreude hatte dem Papst die gute Laune zurückgebracht – jetzt lächelte er auch Fränzchen wieder an, was er seit der Geschichte mit dem Manuskript nicht mehr getan hatte.
Kardinal Sansoni gab der Wache ein Zeichen, und der erste Bittsteller trat ein.
»Euer Name«, fragte er, ohne aufzublicken.
»Giovanni de’ Magistris, Eminenz«, antwortete der Mann.
Sansoni schaute ihn kurz an. Er war feist und verschwitzt und trug eine schwarze Kappe aus Wollstoff. Sein schwarzer Rock war von guter Manufaktur, und um den Hals trug er eine Kette mit einer eingravierten Gänsefeder.
»Ihr seid edler Herkunft?«, erkundigte sich der Kardinal.
»Nein, leider nicht, Eminenz«, antwortete der Mann, während er nervös mit seiner Kappe spielte.
»Ah«, sagte Sansoni und zog missbilligend die Augenbrauen hoch, während er kalkulierte, wie viel er dem Sünder abverlangen könnte. »Woher kommt Ihr?«, fragte er weiter.
»Aus Asti, Eminenz.«
»Womit verdient Ihr Euer Brot?«
»Ich bin Notar.«
Sansoni und Fränzchen warfen sich einen Blick zu.
»Setzt Euch, Notar«, sagte Sansoni daraufhin. Sein Ton war mit einem Mal wesentlich freundlicher. »Was kann die Heilige Römische Kirche für Euch tun?«
* * *
Leonora war wirklich geschickt gewesen. Sie hatte den Käufern auf dem Markt erzählt, dass die feilgebotenen Kleider keinem Geringeren als dem Prinzen von Aragon gehört hätten, und damit einen weitaus höheren Preis erzielt, als Giovanni zu hoffen gewagt hätte. Zu guter Letzt hatte sie noch den Geldwechsler betrogen, was Giovanni einen ganzen Sack voller Heller und Silberdukaten einbrachte, mit florentinischer und römischer Prägung, einige Reals aus Neapel, venezianische Münzen und große Genueser. Nun besaß er das typische Münzsortiment eines Händlers, der aus Rom zurückkehrte und dort gute Geschäfte gemacht hatte. Er hatte sogar so viel Geld in seinen Taschen, dass er ein paar Heller für die Reise und Almosen für die Armen erübrigen konnte. In der Tasche, die ihm Leonora besorgt hatte, befand sich der Kupferzylinder, in dem er sorgsam das zusammengerollte Manuskript verstaut hatte. Außerdem hatte sie ihm einen
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