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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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sondern hatte ihn auch gerettet – wofür Giovanni tief in seiner Schuld stand.

Rom, am selben Tag
    Samstag, 30. Dezember 1486
     
    Derjenige, der die Seiten dieses seltsamen Buches Ultimae Conclusiones Sive Theses zusammengeklebt hatte, verstand etwas von seinem Handwerk, befand Cristoforo. Er drehte das Buch um und bemerkte einerseits die Festigkeit und andererseits die Feinheit der Arbeit. Ein Symbol für die Verschmelzung der Gegensätze, dachte Cristoforo – Stärke und Schwäche, Geist und Materie, Gut und Böse; wie sie die alchimistische Philosophie anstrebte. Nicht umsonst wurde Graf Mirandola in seinen Kreisen für einen der ganz großen Meister gehalten: Sein profundes Wissen und seine Fähigkeit, die schwierigsten Aufgaben mit einer Mühelosigkeit zu lösen, die das Problem beschämend einfach aussehen ließ, brachten ihm Bewunderung und Neid gleichermaßen ein. Mirandola schien sich, soweit Cristoforo informiert war, nie näher mit Magie beschäftigt zu haben, aber wenn er es getan hätte, wäre er sicherlich ein ganz großer Meister geworden. So wie Hermes Trismegistos, dessen Werk Corpus Hermeticum – ein zentrales Werk der Alchimie – erst vor kurzem von seinem Freund Ficino in die lateinische Sprache übersetzt worden war. Oder Nicholas Flamel, der den Stein der Weisen gefunden hatte und der der Transmutation von Blei in Gold auf die Spur gekommen war. Ja, mittlerweile hielt das Opus Alchemicus nicht mehr viele Geheimnisse für Mirandola bereit.
    In dem Raum, der Cristoforo auf Anordnung seines Vaters zur Verfügung gestellt worden war, befanden sich nicht nur einige verbotene magische Texte, sondern auch alchimistische Werkzeuge aller Art: Destillierkolben, Kleber, Lösungsmittel und farbige Pulver, Mineralien, Ampullen, Kräuter und chemische Substanzen, die Cristoforo unbekannt waren. Er dachte über die geheimnisvollen Wege des Schicksals nach, die er wahrscheinlich früher »Vorsehung« genannt hätte. Wie sehr er sich immer gewünscht hatte, eines Tages dem großen Meister Giovanni Pico zu begegnen – und nun war er gerufen worden, um das Geheimnis des Grafen aufzudecken. Vom Papst, dem mächtigsten Mann höchstpersönlich. Cristoforo war zwar das Produkt eines päpstlichen Fehltritts und wurde in den langen Korridoren des Vatikans nur »geheimer Bastard« und bestenfalls »weit entfernter Neffe« genannt. Dass Fränzchen, Teodorina und die anderen – sieben, acht, zehn oder gar mehr? – Stiefgeschwister ebenso wenig legitime Nachkommen waren, hatte ihn, den Erstgeborenen, immer gekränkt. Doch mittlerweile war ihm das ziemlich egal. Heute besaß er einen großen Einfluss auf den Vater und war das mächtigste von all seinen Kindern. Sein Vater hatte ihn auserwählt, ein Geheimnis zu lüften, dessen Dimension er noch nicht kannte, das aber gewiss überaus bedeutungsvoll war. Dies hatte Cristoforo nur seinem Wissen über die Alchimie zu verdanken, jener Wissenschaft, an der sich die Geister schieden: Die Kirche verunglimpfte und verurteilte sie als Teufelszeug, der Heilige Vater – sein Vater – hingegen pries sie als Segen.
    Cristoforo lächelte, als er die exzellente Arbeit des Grafen betrachtete. Die Blätter waren aus Hanffasern und Maulbeeren, die mit Eiweiß und Leim vermischt und zu einer speziellen Paste verarbeitet worden waren, hergestellt und von ihrer Konsistenz robust und dünn gleichermaßen. Der Graf musste die trockenen Seiten nochmals unter Zugabe von Eiweiß und Leim befeuchtet haben, so dass sie sich so kompakt zusammenfügten, dass aus ihnen ein Block, eine Art Backstein aus Papier, entstanden war. Diese Methode kannten nur die arabischen Alchimisten. Ohne das Papier und die genaue Verarbeitung zu kennen, würde jeder falsche Versuch, die Seiten zu trennen, scheitern, und das Manuskript wäre für alle Zeiten ruiniert. Cristoforo würde die muselmanische Alchimie wählen müssen, um die Seiten zu lösen, schätzte er, nämlich die der Elisire und Essenzen – die feuchte Alchimie. Und das im Zentrum der Christenheit, am Hofe seines Vaters – welch eine Ironie!
    Mit Destillierkolben und Wasserdampf hatte Cristoforo eine dampfende Essenz aus Lavendel, Sandarak und Terpentin, das er aus Orangenschalenextrakt gewonnen hatte, hergestellt. Lavendel war ein exzellentes Lösungsmittel, während Sandarak und Terpentin das Papier und die Schrift schützen sollten. Seine Methode hatte Erfolg gehabt – und Cristoforo konnte in den Seiten blättern. Zufrieden bestrich er nun

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