999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
tatsächlich mit einem Geheimnis aufwarten, das er noch nicht kannte. Der Papst wusste nur zu gut, dass die Geheimnisse der Beichte denjenigen, die sie abnahmen, keine Probleme bereiteten, sondern ihnen noch mehr Macht über die Beichtenden gaben.
»Dann beginne dein Geständnis mit einem Gebet und öffne deinem Vater dein Herz.«
Cristoforo kniete nieder, legte das Manuskript neben sich auf den Boden und begann zu beten.
Innozenz wurde ungeduldig. »Halte ein«, befahl er und winkte ab. »Überspringen wir den unnötigen Teil, für den ich dir ohnehin schon Absolution erteilt habe. Also: Ich höre.«
»Ich habe in den letzten Jahren nautische Karten studiert, ich habe den Erzählungen von Seefahrern gelauscht und alle Arten von Schiffen befehligt. Ich habe Tausende Berechnungen angestellt und bin zu einem Ergebnis gekommen, Vater.«
»Nun sag schon, bei Gott, halte mich nicht hin.«
»Vor Katai gibt es noch ein anderes Land, im Okzident, ungefähr sechs- oder siebentausend Seemeilen von hier entfernt.«
Ein leichtes Lächeln umspielte Cristoforos Lippen, als er diesen letzten Satz aussprach. Nun schwieg er und sah seinem Vater in die Augen.
»Ein anderes Land? Eine Insel?« Der Papst wusste nicht, was er sagen sollte.
»Viel mehr, mein Vater, vielleicht ein ganzer, nicht erforschter Kontinent, der nur darauf wartet, erobert zu werden.«
»Und du …?«
»Ich werde ihn demjenigen König übergeben, der es mir ermöglicht, diesen Kontinent zu erobern. Und ich werde der Generalgouverneur über diese Ländereien sein.«
»Und wenn sie gar nicht existieren? Warum ist denn niemand schon vorher darauf gekommen?«, fragte der Pontifex mit zwinkernden Augen. »Und wenn du falsch liegst? Was würdest du dann tun?«
»Ich weiß, was ich sage, Vater. Ich bin mir sicher, aber ich will mehr: ich will es auch wissen. Und sollte ich falsch liegen, werde ich bis nach Katai weitersegeln und hier den Handel auf dem Seeweg öffnen.« Cristoforo sah den Papst eindringlich an. »Ich weiß, dass mir das, was ich Euch erzählt habe, niemand glauben würde. Jeder, der die notwendigen Mittel besitzt, könnte eine Spedition für Handelszwecke finanzieren – aber wer sollte das Geld dann auch wirklich ausgeben wollen? Mit Eurer Unterstützung, Vater, kann ich die Mittel bekommen, die ich brauche, um aufbrechen zu können: Männer und Schiffe. Ihr allein kennt nun die Wahrheit. Helft mir, sie der Welt zu beweisen.«
Innozenz begann über diesen seltsamen Vorschlag nachzudenken. Je länger er seinen Sohn betrachtete, desto klarer wurde ihm, dass sein Erstgeborener vielleicht doch nicht komplett verrückt war. So gut kannte er Cristoforo, dass er um dessen Leidenschaft für das Reisen wusste. In den Orient wollte der Junge seit Jahren schon. Innozenz wusste jedoch auch, dass Cristoforo an viele Türen geklopft hatte, um einen Mäzen für sein Vorhaben zu finden – allerdings ohne Erfolg. Wer wollte schon auf einen vielversprechenden Kapitän – ohne Adelstitel, ohne gesellschaftliche Stellung und ohne Vermögen – setzen? Sein Sohn war offensichtlich aber so besessen von seinem Traum, dass er nicht aufgab; was Innozenz Respekt abnötigte. Cristoforo war eben ein wahrer Cibo, der, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht mehr davon abzubringen war. Auch im Hinblick auf seine Männlichkeit hatte Cristoforo seinem Namen bisher alle Ehre gemacht: Die päpstlichen Spione hatten Innozenz über zahlreiche Frauen und viele illegitime Enkel berichtet. Nun konfrontierte der Jüngling ihn unerwartet mit diesem unverschämten Gesuch … und wie er es vorbrachte … ohne das Manuskript aus den Händen zu lassen. Innozenz war wütend. Einerseits. Andererseits: Was sollte ihn dieser Brief schon kosten? Letztlich wäre es ja nur das Gewähren eines Ansinnens, wenn er der Bitte seines Erstgeborenen willführe. Cristoforo musste jedoch aufhören, sich so herausfordernd an diese Blätter zu klammern – sonst würde er sich dem Verdacht aussetzen, den Pontifex zu erpressen. Und das würde ihm nicht gut bekommen.
»Nun gut, nehmen wir an, ich stelle dir diesen Geleitbrief aus, was würde ich davon haben?«, fragte Innozenz listig.
»Ein Land, das Euren Namen trägt, mein Vater. Ich würde dem schönsten Euren Namen, Cibo, geben. Damit wärt Ihr am Ende berühmter als Alexander der Große.«
»Sprich diesen Namen nicht aus, er bringt Unglück.«
»Was sagt Ihr, Vater?«
»Ach, vergiss es. Außerdem geben alle meine Söhne mir
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