999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
ganzen Unterlagen. Ihr Vorgesetzter, den ich seit vielen Jahren kenne, hat mir gerade gesagt, dass in Rom schon alles entschieden wurde. Aber vielleicht langweile ich Sie damit.«
»Nein, keineswegs. Es tut mir leid, das zu hören. Aber ich hatte mir schon gedacht, dass sich die Dinge in diese Richtung entwickeln würden, und bin wirklich empört.«
»Danke, Dr. de Mola, Sie sind sehr freundlich. Ich fürchte, dass wir früher oder später die Bank schließen oder verschleudern müssen. Aber es handelt sich hier nicht um Willkür, sondern um das Gesetz, und das ist ja gerade das Verrückte. Die neu verabschiedeten Rassengesetze sind schuld. Ich glaube sogar, dass Sie mich nun nicht einmal mehr als Bote in Ihrem Antiquariat beschäftigen dürften. Trotzdem, Ihre Gelder sind in Sicherheit, und um die Sparer nicht nervös zu machen, wird die ganze Angelegenheit diskret und vorsichtig abgewickelt. Sollten Sie jedoch etwas in Ihrem Sicherheitsfach aufbewahren, das Sie niemandem zeigen wollen, dann nehmen Sie es mit, Dr. de Mola. Leider könnten wir Ihnen die Diskretion, die den Erfolg unserer Bank ausgemacht hat, nicht mehr garantieren.«
Diese Warnung schien vom Himmel geschickt, denn genau aus dieser Sorge heraus war Giacomo in der Bank erschienen. Voller Mitgefühl reichte er Dr. Mayer die Hand.
»Wenn ich etwas für Sie tun kann, dann zögern Sie nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen … und danke für den Hinweis«, sagte er mit warmer Stimme und drückte Mayer die Hand.
»Indem Sie mir Gehör schenkten, haben Sie schon viel für mich getan, Dr. de Mola. Klingeln Sie, wenn Sie hier fertig sind. Ich würde mich freuen, mich von Ihnen noch persönlich verabschieden zu können, bevor die«, und er zeigte mit dem Finger nach oben, »mich mitnehmen werden. Ansonsten: Adieu.«
Sie verabschiedeten sich mit einer kurzen Umarmung, und während Mayer das Eisengitter hinter sich schloss und eilig die Treppe hinaufging, holte sich de Mola die Kassette aus dem Sicherheitsfach.
Ein paar Minuten später ging er mit dem Schlüssel und dem Code der Schweizer Bankgesellschaft in Richtung Bahnhof. Er ging vor der Taufkirche am Dom vorbei und war wie immer von der gewagten Brunelleschi-Kuppel fasziniert, die er schon so oft bewundert hatte – wie auch Giovanni Pico bereits vor ihm. Er fragte sich, ob er sie je wiedersehen würde.
Als er die Via Cerretani und die Via Panzani hinter sich gelassen hatte, erreichte er den Bahnhofsvorplatz. In der Gepäckaufbewahrung holte Giacomo den Koffer ab, den er dort am Vortag deponiert hatte und in den er hineingepackt hatte, was eben ging. Es war nicht einfach, das halbe Leben in einem Koffer zu verstauen.
Auf dem Weg nach Florenz
Mittwoch, 3. Januar 1487
In Sant’Eraclio verließen sie die Via Flaminia und machten einen Bogen um Foligno. Sie kamen an Cantalupo und Brufa vorbei und kreuzten den Weg nach Perugia. Dann schritten sie am Tiber über die Val-di-Ceppo-Brücke und kamen ohne Probleme am Zollposten vorbei. Als Passierschein reichten ein paar Kupfermünzen aus Camera, die das Wappen von Papst Innozenz trugen und so neu waren, dass sie wie Fälschungen aussahen.
Sie fuhren weiter.
Die Straße war voller Briganten, die dem legendären Ghino di Tacco nacheiferten und besonders gerne Kutschen überfielen, die aus dem verhassten Rom kamen. Der Kutscher hatte jedoch mehr Angst vor Fränzchen und seinen Männern – die, nachdem ihre Kumpane nicht mehr aufgetaucht waren, in der Zwischenzeit sicherlich die Verfolgung aufgenommen hatten.
Der letzte Aufstieg, um die Villa di Santa Petronilla auf den Hügeln zu erreichen, machte den Pferden schwer zu schaffen. Als sie endlich ankamen, nach einem ganzen Tag ohne Pause, waren die Tiere am Rande ihrer Kräfte. Ihr braunes Fell war mit Schweiß bedeckt, und ihre Rücken waren von den Peitschenhieben des Kutschers gezeichnet.
Bevor sie in das von Mauern umsäumte Gasthaus, das gegenüber einer großen Abtei lag, eintraten, warfen Giovanni und Ferruccio noch einen letzten Blick zurück auf die hinter ihnen liegende Tiefebene. Sie lag in der blassen untergehenden Abendsonne, und aufsteigende Nebelschwaden ließen sie wie einen großen Sumpf aussehen, aus dem sich Reiher und Kraniche für ihre letzte Jagd vor der Nacht erhoben.
Das Wirtshausschild zeigte ein schwarzes Wildschwein auf rotem Grund, das so ganz und gar nicht zu den dunklen Farben der gegenüberliegenden, altehrwürdigen Abtei passte – eine seltsame Mischung aus heilig und
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