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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Angst – und als Innozenz nun Gewissheit darüber erlangt hatte, dass sich über den Kirchenmauern ein Sturm zusammenbraute, der sie in ihren Grundfesten erschüttern würde, spürte er, wie seine Kräfte zurückkehrten und mit ihnen sein Appetit auf Nahrung und Fleischeslust. Ungestüm zog er an einer Kordel, die neben seinem Bett hing, und wenige Minuten später, als ihm seine Diener den kleinen Schreibtisch vor dem Fenster eindeckten, verließ ein feminin aussehender junger Pater, dessen Augen wie die einer Kurtisane geschminkt waren, lächelnd Innozenz’ Gemach. Er wusste bereits, wo er innerhalb der nächsten fünf Minuten – mehr waren ihm nicht gewährt worden, um dem Willen Seiner Heiligkeit zu willfahren – ein Frauenzimmer finden würde, das er dem Pontifex servieren konnte. Wahrscheinlich würde Kardinal della Rovere nicht sehr erfreut sein, wenn er erführe, dass ihm seine jüngste Entdeckung, das hübsche Küchenmädchen, vom Kirchenoberhaupt höchstpersönlich unter der Nase weggeschnappt worden war. Aber der Papst hatte nun einmal das erste Wahlrecht, und selbst ein della Rovere würde warten müssen. Der junge Pater lächelte. Mit ein wenig Glück würde es ihm ja vielleicht vergönnt, den Kardinal trösten zu dürfen.
    Als er beide Gelüste befriedigt hatte, wurde Innozenz wieder zu Giovanni Battista Cibo, dem politischen Strategen, der berechnend seine Interessen verfolgte und andere manipulierte. Zuerst musste er jemanden finden, mit dem er diese Verfluchung teilen konnte. Allein würde er es nie schaffen, Mirandola zu trotzen, denn seine Krankheiten pflegten wie ein Blitz aus heiterem Himmel über ihn zu kommen und ihn für Tage niederzustrecken. Außerdem konnte ihm zu jeder Sekunde irgendjemand in den Rücken fallen. Zudem war es nicht einfach, die richtige Vertrauensperson zu finden. Fränzchen war zu dumm und Sansoni zu unterwürfig. Cristoforo war schon weg und hatte anderes im Sinn. Sein größter Förderer, della Rovere, war ohnehin bereits zu mächtig, und dieses Geheimnis würde ihn nur noch mächtiger machen. Genau dieser Gedankengang brachte Innozenz schließlich auf eine Idee, wie er diesen unbequemen Kardinal in seiner Macht beschneiden konnte. Innozenz würde sich heimlich mit einem dritten Mann verbünden, der mit beiden verfeindet und sein gefährlichster Gegner war – und er würde den sichersten Weg wählen: Er würde ihn kaufen. Innozenz lächelte. Er wusste auch schon wie: Er würde ihm die Krone anbieten, die er nie bekommen hatte: die Krone, die aus Dornen bestand und die er sich doch am meisten auf der Welt wünschte. Aber erst nach seinem Tod, nicht vorher. Er würde natürlich äußerst vorsichtig vorgehen müssen, um diesem unglückseligen Ereignis nicht vorzugreifen, aber immerhin würde er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und hätte gleichzeitig einen mächtigen Feind weniger. Die Würfel waren also gefallen – genau wie bei Caesar, als er den Rubikon überschritt: Auch in seinem Fall gab es kein Zurück mehr. Innozenz seufzte, dann ließ er Kardinal Don Rodrigo Borgia rufen, seinen gefährlichsten Gegner im Kampf um das Amt des Papstes.

Florenz
    Montag, 11. Oktober 1938
     
    Dass Frauen rauchten, war mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert – dass eine Frau jedoch nachts um elf Uhr, an die Mauer der Ponte delle Grazie gelehnt, eine Zigarette rauchte – das war ein ungewöhnliches Spektakel. Niemand wagte es, stehen zu bleiben. Die nächtlichen Spaziergänger mit ihren Hunden wechselten die Straßenseite, und Autofahrer, die bei ihrem Anblick abbremsten, fuhren enttäuscht weiter. Sie konnte keine Prostituierte sein, sonst hätte die Polizei sie schon lange abtransportiert. Außerdem war sie zu gut gekleidet – ein graues Persianerjäckchen schützte sie vor der Feuchtigkeit und der Kühle der Nacht. In Schwierigkeiten konnten sie auch nicht sein, denn sie stand arrogant, mit gekreuzten Armen und hocherhobenem Haupt da.
    Ein Straßenkehrer, der ein paar nette Worte wechseln wollte, näherte sich und sprach sie freundlich an. Er erhielt jedoch keine Antwort, denn ein Wagen ausländischen Fabrikats kam wenige Meter von ihnen entfernt zum Stehen. Mit dem breiten Absatz ihres Schuhs drückte die Frau die Zigarette aus und warf dem Straßenkehrer einen ironischen Blick zu. Dann ging sie gemächlich zum Wagen und setzte sich neben den Fahrer, der sofort und ohne aufzublenden losfuhr.
    Wilhelm Zugel war kein Mann vieler Worte – und so schwieg er während

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