999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Falle zu locken oder Euch in Versuchung zu führen. Das, was ich zu sagen habe, wird Euch noch weitaus mehr überraschen, denn es wird eine heilige Allianz zwischen uns besiegeln.«
»Eure Heiligkeit, ich bitte Euch, mich nicht für dumm zu halten. Das wäre eine Beleidigung, die ich nicht ertragen könnte.«
»Ihr seid nicht nur hier, weil ich Euch nicht für dumm halte, sondern weil ich Euch auf meiner Seite brauche. Lasst uns vergessen, was uns trennte, Kardinal. Vergessen wir della Rovere – dessentwegen ich an Eurer Stelle den Papstthron bestiegen habe. Lassen wir unseren Argwohn hinter uns – und Ihr werdet sehen, dass wir beide große Vorteile daraus ziehen. Vor allen Dingen müssen wir jedoch die größte und bedrohlichste aller Gefahren von uns fernhalten.«
Kardinal Borgia sah seinem Gegenspieler lange in die Augen, dem Manne, der ihn – trotz seiner Schachzüge – Jahre zuvor um den Stuhl des heiligen Petrus gebracht hatte. Er versuchte, in Innozenz’ Augen Spuren von Hinterlist zu entdecken, aber dieser hielt seinem Blick stand.
»Also, sind wir uns einig?«
»Ich bin bereit, Euch anzuhören.«
» Deo gratias !« rief der Papst erleichtert aus. »Für einen Augenblick befürchtete ich, dass Ihr Euch weigern würdet, mich anzuhören. Nun, so lasst mich beginnen: Ich nehme an, Ihr wisst alles über das Konzil von Ephesos, nicht wahr?«
»Ich weiß nur das, was ich studierte. Meines Wissens wurde das Wesen Marias disputiert. Und dass ihr die Rolle der Theotokos , der Mutter Gottes, zugesprochen wurde, die im Gegensatz zu den Thesen von Nestor stand, der sie als Christotokos wollte, also Mutter von Christus.«
Innozenz nickte. »Nestor hatte Unrecht, aber nicht einmal er wusste, in welchem Ausmaß. Wie Ihr wisst, kam es während des Konzils zu schweren Unruhen.«
»Giovanni«, sagte Borgia in einem vertraulichen Ton, den er bisher nie gewagt hatte, »ich hoffe, ich bin nicht hier, um eine Prüfung über die Geschichte der Kirche zu bestehen!«
Der Papst lächelte, als er seinen Taufnamen hörte. So hatte ihn zum letzten Mal vor Jahrzehnten seine Mutter genannt. Aber diese Vertraulichkeit störte ihn gar nicht so sehr, weil er dabei war, mit Borgia ein Geheimnis zu teilen, das sich die Päpste seit mehr als tausend Jahren überlieferten, und in das sie nur nach ihrer Wahl eingeweiht wurden – zumindest müsste es so sein.
»Nein, auch ich weiß nicht viel darüber«, sagte Innozenz ehrlich, »aber Ephesos ist wichtig. Und bald wird es auch für Euch wichtig sein. Das Konzil war Schauplatz harscher Dispute, unlösbarer Probleme, schwerer Intrigen und blutiger Kämpfe. Aber nicht wegen Nestor oder anderer Häresien, die auf die Bannliste kamen. In Ephesos disputierte man über die Kirche, die von Paulus reformiert worden war, und seine Macht, die noch nicht gefestigt und nur mit Not verteidigt werden konnte. Rom war am Ende, während Konstantinopel immer reicher wurde. Der Kaiser plante, die Kirche nach Konstantinopel zu holen, und so das letzte Bollwerk des Okzidents zu zerstören. Um das zu erreichen, musste er beweisen, dass die Kirche von Petrus auf Lug und Trug gebaut war und dass die einzige Wahrheit, die sie würde retten können, aus dem Orient kam. Der Kaiser wollte eine neue Kirche, versteht Ihr, Rodrigo? Eine neue Ordnung, die sich auf die Tatsache stützte, dass es den Gott, der bislang angebetet wurde und auf den sich die Kirche von Petrus stützte, so nie gegeben hatte!«
Rodrigo Borgia strich sich über seinen Nasenhöcker. Er hätte es vorgezogen, sich in einem seiner nächtlichen Alpträume zu befinden, aus denen ihn die tiefschwarzen Augen der wunderschönen Giulia erlösen könnten, als hier vor dem Papst zu stehen ohne Aussicht auf Erlösung.
»Habt Ihr gehört, was ich sagte?«
»Wir haben und hatten überall Feinde, immer – aber unsere Macht ist seit eintausendfünfhundert Jahren ungebrochen.«
»Ihr versteht nicht – aber Ihr könnt auch noch nicht verstehen. Stellt Euch für einen Augenblick vor, der Adel und der Reichtum Eurer Familie beruhten auf Hinterlist und Täuschung. Und nun stellt Euch weiter vor, Ihr wärt im Besitz eines Dokumentes, das über diese Umstände mit sicheren Beweisen Zeugnis ablegte. Was würdet Ihr tun?«
»Ich würde es vernichten.«
»Sehr richtig. Wenn die Beweise aber eines Tages dazu dienen könnten, Euch gegen Anfeindungen zu verteidigen, und Ihr es zu Eurem Vorteil nutzen könnten – nicht nur für Euch, sondern auch für die
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