999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Frau genauer an. Sie war nicht mehr jung, das konnte man an ihren Tränensäcken sehen, und es war klar, was sie hier machte.
»Nein … entschuldigt … ich bin keine …«
»Hure?«, antwortete lachend die Frau. »Na gut, niemand ist perfekt. Los, steh schon auf, dir geht es ja schlechter als mir. Hast du mit deinem Liebsten gestritten?«
»Ich … fühle mich nicht gut.«
»Schau, meiner ist besser als dein Verlobter. Hör auf eine Schlampe. Ach, übrigens, ich heiße Arcangela.«
»Und ich Elena.«
»Komm zu mir nach Hause, heute Abend sind eh nur Schwule unterwegs!«
Sie stützte Elena, und gemeinsam gingen sie die alte Cannettostraße hinunter bis zu Arcangelas Wohnung. Dort legte sie Elena ins Bett, deckte sie zu, und Elena schlief wie ein kleines Mädchen ein.
Rom
Freitag, 5. Januar 1487
Der Kardinal erschien gekleidet wie ein Fürst – allerdings nicht wie ein Kirchenfürst. Über dem mit Goldfäden durchwebten purpurfarbenen Gewand trug er die prächtigen Insignien des Alcantara-Ordens: Eine große goldene Raute, auf der das grüne Lilienkreuz des Ordens prangte, ein Geschenk von Ferdinand, dem König Aragons.
»Eure Heiligkeit, ich bin erstaunt und geehrt zugleich, dass Ihr mich gerufen habt.«
Rodrigo Borgia nahm seine rote Kappe ab und warf sie achtlos zur Seite. Sie war mit schwarzem Wolfspelz ummantelt, der auch seine militärisch geschnittene Weste zierte. Die Beinkleider steckten in prächtigen purpurfarbenen Schnürstiefeln – es fehlte nur noch das Schwert, und der Spanier hätte an einer Parade teilnehmen können. Innozenz lächelte ihn an und sagte nichts. Die Arroganz, die sich hinter dem vermeintlichen Respekt verbarg, und der wohldosierte Gebrauch der Wörter, der nichts, nicht einmal den Ton der Stimme dem Zufall überließ – das gefiel dem Papst an diesem Mann. Es war besser, ihn zum Freund als zum Feind zu haben.
»Kommt, Kardinal«, sagte der Papst, nachdem der Kardinal seinen Ring geküsst hatte, und stand auf, um Borgia gleich zu Beginn ihres Treffens klarzumachen, wer hier die Bedingungen diktierte. »Ihr seid immer willkommen. Ich wünschte mir, Ihr würdet mir öfter die Ehre Eurer Anwesenheit erweisen.«
Diese Förmlichkeiten waren kein Zufall, denn sie erhöhten die gewünschte Distanz noch zusätzlich.
Kardinal Borgia folgte dem Papst in dessen Studierzimmer, und als sein Gast eingetreten war, verschloss Innozenz persönlich die Tür hinter sich. Aus den Augenwinkeln beobachtete der Pontifex seinen Gast und genoss dessen offensichtliche Neugier.
»Ich dachte, Ihr wärt zornig auf mich«, setzte dieser an. »Außerdem nahm ich an, dass Euch die junge de Mila nicht zugesagt hat.«
In den Augen von Innozenz blitzte kurz Begierde auf, dann fing er sich jedoch wieder und antwortete möglichst gleichgültig: »Ein anderes Mal, gerne. Leider war ich nicht in der richtigen Stimmung für solch einen … angenehmen Zeitvertreib.«
Borgia öffnete die Hände und lächelte den Papst an.
»Nehmt Platz, Kardinal, und habt die Güte, mir zuzuhören«, sagte der Pontifex und setzte sich auf seinen Lieblingssessel, der ihn mindestens um eine halbe Spanne größer wirken ließ.
»Seid jedoch gewarnt: Das, worüber ich Euch gleich sprechen werde, darf diesen Raum nicht verlassen. Ihr kennt die Folgen, die solch eine Tat nach sich ziehen würde.«
»Ihr habt das Wort des Mannes und des Kardinals«, antwortete Borgia mit einer leichten Verbeugung, »mehr kann ich Euch im Moment nicht anbieten, Eure Heiligkeit.«
»Wir haben das gleiche Alter, Borgia, wisst Ihr das?«
»Gewiss, Eure Heiligkeit, ich bin Euch nur wenige Monate voraus.«
»Ihr könntet Papst an meiner Stelle sein …«
Borgia erstarrte. Dieser Satz war nicht einfach so dahergesagt. Es steckte eine Absicht dahinter – welche, wusste der Kardinal noch nicht zu sagen –, und er gefiel ihm ganz und gar nicht. Sie waren zwei mächtige Männer, und bis zu diesem Zeitpunkt waren sie sich immer mit Respekt begegnet. Dieser Vorstoß Cibos aber konnte den Beginn eines Krieges bedeuten. Der Wind hatte gedreht, und Borgia fragte sich, ob er Cibo im Notfall den Dolch, den er in seinem rechten Ärmel versteckt hielt, rechtzeitig an die Kehle halten konnte, bevor er selbst zum Opfer würde.
»Mein Freund, habe ich Euch überrascht?«, fragte der Papst und lächelte scheinheilig.
»Ich muss gestehen, ja, aber die Vorsicht gebietet mir zu schweigen.«
»Habt keine Angst – ich habe Euch nicht gerufen, um Euch in eine
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