999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
jedoch nicht und befürchtete, dass die Verfolgung der Juden früher oder später auch in Italien einsetzen würde. Seinem großzügigen Kunden hatte er unlängst gebeichtet, dass er auf seinen Drucken ein Alias benutzte: Der Künstlername Franck zeugte von seiner jüdischen Herkunft. Graf Mirandola hatte ihn beruhigt: Er hätte nichts zu befürchten, solange ihm edle Familien wie die Orsinis, die Medicis, die della Roveres oder die Borjas selbst, die 20 Jahre zuvor ihren Namen in Borgia italianisiert hatten, Freundschaft und Achtung entgegenbrachten.
* * *
Ein Licht wurde in der Offizin angezündet, dann hörte Giovanni, wie Riegel geöffnet wurden. Im Schein einer Öllampe erschien die Figur von Eucharius, der aus der halboffenen Tür spähte.
»Was soll ich Euch wünschen, mein Graf? Gute Nacht oder einen guten Morgen? Für den ersten Gruß ist es eigentlich bereits zu spät, und weil die Sonne erst in fünf Stunden aufgehen wird, ist es für den zweiten noch zu früh.«
»Wünsche mir ein zufriedenes Leben«, antwortete Giovanni, »dann ist mir jede Stunde des Tages und der Nacht angenehm.«
»Das wäre für jeden Mann mit gutem Willen ein erstrebenswertes Ziel und keine einfache Aufgabe für unseren Herrn«, antwortete Eucharius. Mit einer Geste wies Giovanni seinen Diener an, draußen Wache zu halten, dann trat er zu Eucharius hinein. Dieser verschloss die Tür sofort hinter ihm.
»Ich will dich nicht zu lange aufhalten, mein guter Eucharius. Ich möchte nur wissen, wie es um den Druck meiner Thesen steht.«
»Edler Giovanni, 500 Exemplare druckt man nicht so schnell, wie man ›Amen‹ sagen kann. Obwohl man heute fähig ist, an einem einzigen Tag das zu drucken, woran man früher ein Jahr lang gearbeitet hat … wenn man meinem Kollegen Ulrich Han Glauben schenken darf.«
Der Graf lächelte.
»Ich kenne Han, er ist ein überaus guter Handwerker und ein scharfsinniger, begabter Mann. Als ich seine De honesta voluptate et valetudine sah, dachte ich, es sei das philosophische Traktat eines lateinischen Verfassers … aber als ich es bereits gekauft hatte, entdeckte ich beim Lesen, dass es ein Buch über Küchenrezepte war. Alles in allem war es eine angenehme Täuschung, weil ich einige schwerverdauliche Ergebnisse seiner Rezepte am eigenen Leibe selbst erfahren konnte …«
»Hoher Herr, es gibt immer etwas zu lernen, auch für jemanden wie Euch. Verschweigt Eure Entdeckung, auch wenn bereits viele davon wissen. Aufgrund des profanen Inhalts fürchtet Han um seine Drucklizenz.«
»Ich glaube, dass das Gute ohne Freiheit keinen Wert hat. Seneca sagt: ›Tue nichts Gutes, dann passiert dir nichts Schlechtes‹.«
»Wenn das so einfach wäre, hoher Herr.«
»So ist es im Himmel und, wenn die Menschheit die göttliche Eingebung besser kennt, wird es so auch auf Erden sein. Wenn alle Menschen Kinder eines höheren Wesens sind, folgt daraus unweigerlich, dass wir alle gleich sind. Ich hoffe, dass meine Thesen die Welt dafür empfänglich machen.«
Eucharius starrte den Grafen ungläubig an. »Was habt Ihr da gesagt, hoher Herr?«, fragte er. »Habe ich das eben richtig verstanden? Nein, vergebt mir, meine Sinne müssen mich getäuscht haben. Die vermaledeiten alten Ohren verwechseln die Wörter wie ein Obsthändler, der die guten Äpfel zeigt und dann die faulen in den Korb legt.«
»Nein, nein, du hast schon recht verstanden, Eucharius. Und wo wir von Äpfeln sprechen – ich möchte, dass du mir drei Exemplare in rotes Leder bindest, und zwar so, dass man weitere Seiten einfügen kann. Außerdem sollen die Folianten mit einem Schloss ausgestattet sein.«
Perplex sah Eucharius den Grafen an, gegen die Wünsche eines edlen und reichen Herrn konnte er jedoch nichts einwenden.
»Jawohl, Herr. Ich werde Euch das fertige Werk so schnell wie möglich liefern. Aber … wie steht es um die päpstliche Kommission? Erinnert Euch, ich warte immer noch, dass Ihr mir Seine Erlaubnis für die Veröffentlichung überbringt.«
»Sorge dich nicht, Eucharius, früher oder später wirst du sie schon erhalten. Du musst wissen, dass meine Thesen von dem Einzigen, an den deine und meine Vorfahren und sogar der Große Prophet Mohammed geglaubt haben, inspiriert wurden.«
»Sprecht nicht so. Mein Bruder wurde für viel weniger an den Füßen aufgehängt und ihm dann alle Finger zerquetscht und gebrochen. Er war ein guter Medicus – heute aber ist er nur noch ein armer Krüppel.«
»Du hast recht, Eucharius. Aber ich
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