Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)
Tragegestell auf meinem Rücken, einer Krackse, Richtung Stubner Steilhang. Am Anfang, ich war noch frisch und munter, brauchte ich 15 Minuten für einen Weg. Zwischen acht- und neunmal lief ich die Strecke zur Baustelle und wieder zurück. Nach einiger Zeit zeigten sich jedoch erste Ermüdungserscheinungen, ich brauchte schon fünf Minuten länger, und am Ende des Tages war ich eine halbe Stunde unterwegs, denn ich musste die Sandsäcke mehrfach absetzen.
Den ganzen Sommer hindurch schleppte ich von morgens bis abends Sandsäcke, räumte Bretter und Arbeitsmaterial. Nach Feierabend, meistens so gegen 17 Uhr, ging es dann zu Fuß über den Steilhang Richtung Stuben. Nach einer guten halben Stunde kam ich im Gasthaus »Berghaus« an, wo schon ein kühles Bierchen auf mich wartete. Natürlich blieb es nicht bei einem Glas, denn in der Gaststätte trafen sich alle Bauarbeiter, auch jene, die zu dieser Zeit in Stuben beim Straßenbau tätig waren. Hier versammelten sich derbe Burschen, die nicht nur eine große Klappe hatten. Mit steigendem Alkoholpegel flogen oft die Fäuste, und nicht selten war ich mittendrin.
Raufereien gehörten damals zu meinem Alltag, und so zögerte ich nicht, als sich während einer meiner Sommerjobs die Gelegenheit bot, professionelle Anleitung zu bekommen: Ich lernte einen Boxer kennen, und das ausgerechnet bei einer so filigranen Tätigkeit, wie dem Herstellen von feinen Perlenketten …
In Süddeutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg die sogenannte Privatindustrie (Gablonzer) entstanden, dabei handelte es sich um kleine Modeschmuckhersteller, und ich bediente für anständige 1,70 DM die Stunde von morgens sieben bis abends sechs in einer Schwäbisch-Gmünder Fabrik zwei Maschinen, die Perlen erzeugten, aus denen Halsketten gefertigt wurden.
Während dieser Zeit teilte ich mir im Kettlerheim, in dem alle auswärtigen Arbeiter untergebracht waren, mit Toni ein Zimmer. Er war der schwäbische Schwergewichtsmeister vom Wiesensteig, trainierte in jeder freien Minute, und ich musste als Sparringspartner herhalten. Dabei bekam ich natürlich ordentlich auf die Nase, hatte aber nach kurzer Zeit Blut geleckt. Ich wollte Boxen lernen, als »kleines Großmaul« konnte es nicht schaden, einen linken Haken zu beherrschen. Und so begleitete ich Toni mit viel Freude in seinen Boxclub. Die Nachteile habe ich erst später erkannt: Denn wenn man weiß, dass man Boxen kann, dann möchte man sein Können auch unter Beweis stellen. Und das tat ich. So manches schöne Sommerfest endete in einer wilden Rauferei. Einem Willi Mathies brachte man das Boxen besser nicht bei.
Da ich schon immer ein handfester Typ war, gehörte das filigrane Gablonzer Modeschmuckhandwerk nicht unbedingt zu meinen größten Talenten. Ich konnte auf dem Bau arbeiten, Gruben und Schächte ausheben, Planierraupe und LKW fahren und Äcker umpflügen. Also wechselte ich im noch im gleichen Sommer den Job, aber nicht die Stadt. In einer Zahnradfabrik bediente ich ebenfalls zwei Maschinen gleichzeitig und stellte im Akkord Zahnräder her. Eine Arbeit, die mir mehr lag und zudem besser bezahlt wurde. Hier erhielt ich fast das Doppelte in der Stunde, aber die Akkord- und Nachtschichtarbeit war extrem anstrengend. So sagte ich meinem Schwergewichtsmeister Ade und zog in den Gasthof »Güterbahnhof« in Taubental, wo ich mir mit Herbert, einem Flüchtling aus der DDR , das Zimmer teilte.
Herbert und ich waren vom gleichen Schlag. Wir setzten unser hart verdientes Geld jeden Tag in Alkohol und Vergnügen um. An den Wochenenden war nicht mehr viel übrig, wir lebten von Äpfeln und Birnen, die wir im Garten vis à vis klauten. Falls noch ein paar Pfennige übrig waren, gönnten wir uns ein Brot. Genau zu jener Zeit gastierte ein Zirkus in der kleinen Stadt, und wir halfen am Wochenende – natürlich gegen Bezahlung – beim Abbau. Wir hatten unsere Sache wohl ordentlich gemacht, denn sie fragten uns, ob wir nicht Lust hätten mit ihnen weiterzuziehen. Zwei so unverwüstliche Kerle konnte man im Schaustellergeschäft gut gebrauchen. Warum nicht? Der Herbst nahte, und so zogen Herbert und ich mit ihnen von einer Stadt in die andere.
Wie ein Seemann, auf den in jedem Hafen eine Braut wartete, so hatte ich überall dort, wo wir unser kleines Zirkuszelt aufbauten, eine schöne Liebelei. Irgendwann landete ich im hohen Norden, in Hamburg. Es war Anfang Dezember, ich war schon viel zu lange unterwegs gewesen, und nun wurde es Zeit, wieder nach
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