Ab heute alles anders
Grenzen des Machbaren zu gehen. Aber mein Leistungsvermögen, das mir bis dahin fast unbegrenzt erschienen war, wollte plötzlich nicht mehr wachsen.
Ich lief in den leichtesten Laufschuhen der Welt, absolvierte fast 50 Wettkämpfe im Jahr, Triathlon, Duathlon, Marathon, alle |241| möglichen Läufe. Wie und wo wollte ich denn noch besser werden?
Ich nahm Schmerzmittel ohne spürbare Besserung, testete eine sogenannte Leistungsdiät und wurde eher schwächer. Alle Ärzte wirkten bei meinen Knieschmerzen ratlos, rieten aber doch mehrheitlich zu einer Operation. Ende 1994 gab ich das Laufen auf, träumte aber trotzdem weiter unverdrossen von den verrücktesten Laufabenteuern!
Es war ein harter Einschnitt. Ich liebte das lange Laufen, und keiner konnte mir erklären, wo meine Knieschmerzen herrührten. Und Sätze wie: »Wenn Sie damit kein Geld verdienen, dann lassen Sie doch den Sport!«, halfen mir nicht weiter.
Alexander Steinbrenner, Chiropraktor:
Wenn wir die Symptome unseres Körpers nicht mehr ignorieren können, weil die Hilfeschreie unerträglich werden, beginnt die nächste weitverbreitete Phase: das Betäuben. Entzündungshemmende Medikamente und Spritzen sollen dafür sorgen, dass wir weiter funktionieren. Doch kümmert sich hier wirklich jemand um das Feuer, oder schalten wir nur die Sirenen aus und warten unbewusst darauf, bis alles in Brand steht? Vereinfacht gesagt sind wir nun am Ende der Inkubationsphase und Toleranzfähigkeit unseres Körpers angelangt, und wie bei vielen Krankheitsprozessen bedeutet dies, dass es eigentlich schon zu spät ist.
Im Fall unseres Kandidaten hat eine jahrelange Überbeanspruchung der Knie letztlich zum vollständigen Abbruch des Laufens geführt. Die Schmerzen waren zu groß geworden. Eine Lösung musste her, doch die Suche kann sich schwierig gestalten, wenn man die Ursache nicht erkennt. Niemand wird sich gern operieren lassen, nur um »vielleicht« eine Ursache zu finden. Ich lernte Joachim Franz genau in dieser Phase kennen, und nachdem ich mir seine Geschichte eingehend angehört hatte, begann die Ursachenforschung.
|242| Wir neigen dazu, uns immer auf den Schmerz zu konzentrieren, doch nur wenige verstehen, wie er entsteht. In diesem Fall lag das Problem gar nicht im Knie, sondern in den Gelenken darunter sowie darüber. Joachim Franz hatte über Jahre hinweg eine komplexe Fehlstellung des Sprung- sowie Hüftgelenks entwickelt, deren Kompensation im Knie stattfand und letztlich sogar das Treppensteigen schmerzhaft machte. Die grundlegende Analyse und die folgende Stabilisierung des Bewegungsapparates ermöglichten einen schnellen Wiedereinstieg ins Lauftraining. Eine solche konservative Therapie kann erfolgreich sein, wenn ihr das rechtzeitige und genaue Erkennen der Ursache vorausgeht. Eine Operation sollte immer der letzte Weg sein.
Dirk Colla, Internist:
Inzwischen war der Kandidat schon bei allen Ärzten. Sicher ist auch schon ein Belastungs-EKG gemacht worden. Jetzt wäre eine erneute Bestandsaufnahme sinnvoll: ein Echo, um zu sehen, dass keine Herzmuskelverdickung eingetreten ist, ein erneutes Belastungs-EKG, gegebenenfalls als Spiroergometrie oder eine Laktat-Messung, um die optimale Trainingsfrequenz zu ermitteln. Vielleicht wäre auch ein erneuter Labor-Check aufschlussreich. Dank der ständigen Anwendung von Schmerzmitteln ist vermutlich auch die Leber auf der Strecke geblieben. Bei mehr als zehn Tabletten sollte die Ursache für die Schmerzen gesucht werden, denn die Nebenwirkungen müssen genau überlegt werden. Wenn aufgrund der Schmerzen anstatt des Laufens jetzt andere Sportarten gewählt werden, ist das sicher in Ordnung. Es sollte aber eine Ausdauerkomponente mit dabei sein, wie beim Radfahren oder Schwimmen. Wegen der Kniebeschwerden muss ein guter Orthopäde oder Chiropraktor helfen.
|243| André Albrecht, Trainingswissenschaftler:
Wie schon bei Fall 2 scheinen körperliches Leistungsvermögen, Trainingskennziffern (Dauer, Intensität), Ernährung und Zielstellungen und Erfolge nicht aufeinander abgestimmt zu sein. Eine Festlegung der individuellen Leistungsdaten (Leistungsfähigkeit, Pulswerte) sowie eine darauf basierende Trainingsplanung hätte helfen können, viele Beschwerden zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Gleichwohl ist eine maximale Belastung des Körpers (50 Wettkämpfe) oder ein Ausloten der Grenzen des Körpers niemals ohne Beschwerden möglich; Grenzen kennen zu lernen bedeutet ja per definitionem, so weit zu
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