Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Informationen werden wir Interviews mit den Befehlshabern der Schiffe, mit den zivilen Vertretern auf der Thomas Prince und Livemusik senden. Es ist mir eine Ehre, unseren ersten Gast, Hochwürden Vater Hector Cortez zu begrüßen.«
Ein Bildschirmfenster öffnete sich, und der Priester erschien. In Bulls Augen wirkte der Mann ziemlich zerlumpt. Die viel zu hellen Zähne wirkten falsch, und das schlohweiße Haar schimmerte fettig.
»Vater Cortez«, begann Monica Stuart, »haben Sie bei den Rettungsarbeiten auf der Thomas Prince geholfen?«
Zuerst schien es, als habe er sie nicht gehört. Er lächelte gezwungen.
»Das habe ich getan«, bestätigte der alte Mann, »und es war … Monica, ich fühle mich gedemütigt. Ich bin sehr betroffen.«
Bull schaltete den Feed ab. Das war doch schon mal was. Jedenfalls besser als nichts.
Die marsianische Fregatte Cavalier , die jetzt unter dem Kommando eines Zweiten Leutnants namens Scupski stand, fuhr den Reaktor herunter und verlegte die überlebende Crew und alle Vorräte auf die Behemoth. Die Thomas Prince hatte eingewilligt, die Verletzten, das ärztliche Team und die verbliebenen Zivilisten zu schicken – Dichter, Priester und Politiker, darunter auch Hector Cortez mit seinen toten Augen. Es war ein Anfang, aber das war noch nicht alles, was er tun konnte. Wenn sie weiterhin zu ihm kommen sollten und die Behemoth der Inbegriff von Ruhe, Stabilität und Sicherheit sein sollte, gab es noch mehr zu tun. Der Videokanal konnte dem Zusammenwachsen eine Stimme und ein Gesicht geben. Er musste noch einmal mit Monica Stuart darüber reden. Vielleicht konnte man eine gemeinsame Trauerfeier für die Toten veranstalten. Einen Beirat mit Vertretern aller Seiten einberufen, der einen Evakuierungsplan aufstellte und versuchte, die Menschen durch den Ring wieder nach Hause zu schicken.
Durch die Abbremsung hatten sie allerdings alle ihre Langstreckenschiffe verloren. Sogar der Ring selbst war in weite Ferne gerückt, weil sie sich nur noch langsam bewegen konnten und Entfernungen in Zeiteinheiten gemessen wurden.
Sein Handterminal zirpte, er kam unvermittelt zu sich. Vor seinem Zimmer schrie eine Frau, worauf die angespannte Stimme eines Mannes antwortete. Bull erkannte die Rettungssanitäter, die herbeistürmten, um einen armen Hund, der im Sterben lag, wiederzubeleben. Er hatte Mitgefühl mit den Sanitätern. Eine ähnliche Arbeit, wenngleich in anderem Maßstab, verrichtete er auch selbst. Er hob die Arme, nahm das Terminal und akzeptierte die Verbindung. Serge erschien auf dem Bildschirm.
»Que tal?«, fragte der Wachmann.
»Mir geht’s gut«, antwortete Bull trocken. »Was liegt an?«
»Mars. Sie haben ihn geschnappt und schleppen den cabron lebendig zurück.«
Instinktiv und vergebens versuchte Bull, sich aufzusetzen. Er konnte nicht sitzen, und das war noch eine höfliche Umschreibung seines Zustands.
»Holden?«, fragte er.
»Wen sonst? Er ist auf einem Beiboot und tuckert langsam zur RMMR Hammurabi . In ein paar Stunden müsste er dort eintreffen.«
»Nein«, antwortete Bull. »Sie müssen ihn hierherbringen.«
Serge hob eine Hand, um wie ein Gürtler zu nicken, blieb jedoch skeptisch.
»Asi dulce si. Ich weiß bloß nicht, wie man sie überzeugen könnte.«
Irgendwo weit unter Bulls Brustkorb zischten und schnauften die Kompressionsbeutel, erweiterten sich und zogen sich zusammen, um Blut und Lymphflüssigkeit durch den Körper zu pumpen, weil es keine natürlichen Bewegungen mehr gab, die Flüssigkeitsstaus verhinderten. Er spürte es nicht. Wenn die Dinger Feuer fingen, würde er es nicht bemerken. Etwas Tiefes und sehr Altes regte sich voller Angst und Abscheu, als sein Kleinhirn zum tausendsten Mal die Verletzungen erkannte. Bull rieb sich mit dem Handrücken über die Nase.
»Gut«, sagte er. »Mal sehen, was ich tun kann. Was hat Sam über das Projekt zu berichten?«
»Sie hat die Railguns demontiert und arbeitet daran, die zusätzlichen Torpedorohre abzubauen, aber der Kapitän hat es herausgefunden und bekommt ein Grand Mal.«
»Tja, das musste irgendwann mal passieren«, erklärte Bull. »Darum muss ich mich ebenfalls kümmern. Sonst noch was?«
»Falls Sie nicht un poco loco sind, sollte das erst mal reichen. Ruhen Sie sich aus, wir wechseln uns ab, sa sa? Sie müssen nicht alles selbst machen.«
»Ich muss was erledigen«, sagte Bull, als sich die Kompressionsbeutel seufzend entleerten. »Ich melde mich wieder.«
Leise, angespannte Stimmen
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