ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
die Arme aus, als wollte er ihn einem großen Publikum präsentieren. Wieder musste Simon lachen. Bobo trug immer noch die Uniform des Schaffners. Immer noch war sie ihm viel zu eng.
„Sie sind dir noch nicht auf die Schliche gekommen ...“
„Nicht, solange ich die Uniform und die Fahrkartenzange habe.“ Er präsentierte sie mit einem fixen Griff, als hätte er seinen Colt zum Duell gezogen. „So ist Deutschland. Solange du eine Uniform und die exekutive Gewalt hast, fragt keiner.“ Dabei deutete er auf die Zange. „Alles super. Und du? Wie ist es dir ergangen?“
Während draußen die graue Landschaft vorüberflog, erzählte Simon alles, was er erlebt hatte, seit sie auseinander gegangen waren. Bobo hatte die Vorhänge zum Gang geschlossen und hörte geduldig zu. Nach einigen Anläufen hatte er sich auf seinem Sitz wohlig zusammengerollt und sah nun aus wie ein überdimensionales Turbo-Baby. Als Simon geendet hatte, lauschten sie den Geräuschen des rasenden Zuges.
„Bist erwachsen geworden“, sagte Bobo schließlich. Er klang stolz, als hätte er einen Anteil daran gehabt. „Was hast du vor in Berlin?“
„Ich will zu meinem Vater“, sagte Simon. „Ich hätte ihn nicht mit Geister-Bob alleine lassen dürfen.“
„Ja. Das war wohl keine gute Idee.“ Bobo nickte nachdenklich. Er nahm sein Handy und verließ das Abteil, um zu telefonieren. Simon sah zu, wie er auf dem Gang auf und ab ging. Kurz tauchte die erblondete Kollegin auf, und Bobo spielte sofort den grimmigen und gnadenlosen Bahnbediensteten, der einen Schwarzfahrer erwischt hatte und die Polizei verständigte.
Nach einer guten halben Stunde und mehreren Telefonaten kam Bobo zurück in das Abteil. Er schaute betrübt aus.
„Was ist?“, fragte Simon.
„Ich hab mal ’n bisschen rumgehorcht“, sagte Bobo und verstummte.
„Was?“, drängelte Simon. „Was hast du rumgehorcht? Über meinen Vater?“
Bobo nickte.
„Und?“
„Er ist nicht mehr in Berlin“, sagte Bobo.
„Wo ist er?“, fragte Simon. „Haben sie ihn wieder verlegt? Oder ...“ Er verstummte, weil er den Gedanken, der ihm kam, nicht denken wollte.
„Er ist nicht tot“, sprach es Bobo aus. „Keine Sorge. Aber er ist ...“
„Was!?“
„Na ja ... so was wie ein Pflegefall.“ Bobo atmete tief. „Deshalb haben sie ihn vorzeitig entlassen. Er ist in Mannheim. Bei seiner Frau ... also ... bei deiner Mutter.“
Simon lehnte sich zurück in seinen Sitz. Das konnte er nicht glauben.
„Wer sagt das?“
„Wirklich gute Kumpels“, sagte Bobo beteuernd. „Die erzählen kein‘ Scheiß. Durchgeknallt wär er, sagen die. Alle Drähte durch ... sorry, Junge. Ich weiß, wie sehr du an ihm hängst.“
Simon sah den traurigen Riesen vor sich und wandte sich zum Fenster. Warum wurde alles immer noch schlimmer?
„Und Geister-Bob?“, fragte Simon. „Hat er damit zu tun? Dass mein Vater ... dass es ihm so schlecht geht?“
Bobo zuckte mit den Achseln.
„Vielleicht. Vielleicht nicht. An irgendwas wollte er ran, was dein Vater weiß. Aber warum? Keine Ahnung,“ er seufzte. „Milliarden Spermien und ausgerechnet Geister-Bob musste Erster sein.“ Bobo schaute mit seinen kleinen Schweinsäugelchen auf den Jungen. „Ich schreib dir ’ne Fahrkarte nach Mannheim. Von Berlin.“ Er hockte sich gleich hin und hatte dann aber noch eine bessere Idee. „Hier. Ich geb dir noch ’n paar Blanko-Tickets. Damit kommst du überall hin.“ Bobo setzte sich neben Simon und legte ihm seine Pranke auf die Schulter.
„Aber heb dir eins auf. Irgendwann wirst du Eddas Heimatstadt eintragen. Ich bin sicher.“ Bobo lächelte Simon an. Ein Angebot, mitzumachen. Simon nickte nur ergeben.
„Irgendwann. Ja. Vielleicht ...“
Zusammen mit Bobo wartete Simon am Bahnsteig, bis der Zug nach Mannheim eingefahren war. Sie hatten nicht mehr viel geredet. Es gab auch nicht mehr viel zu reden. Doch es war gut, dass Bobo da war. Allein seine Masse beruhigte Simon. Wenn es so war, wie Bobo gesagt hatte, dann musste er eben doch wieder nach Mannheim. Noch hatte er keine Ahnung, wie er mit seiner Mutter und Mumbala umgehen sollte. Sie hatten zugelassen, dass gene-sys ihn rekrutiert hatte. Es hatte sie sogar mit Stolz erfüllt. Das hatte Simon in den Augen seiner Mutter erkennen können, als er ihr im Teufelsberg begegnet war. Als sie mit Greta auftrat und wie sie von der Bildung einer guten Elite träumte. Was war aus all den „guten Ideen“ geworden, wenn sie einmal in die Welt gekommen
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