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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
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hatte ihn immer fasziniert. Was für ein Held. Er hatte dem lockenden Gesang der Sirenen widerstanden, weil er sich an den Mast seines Schiffes hatte fesseln lassen. Nicht anders empfand Linus. Er war genauso gefesselt. Und vor ihm hockte und lockte diese Ärztin, um irgendwann auf einer Konferenz von Spezialisten mit seinem „Fall“ glänzen zu können. Wie sie diesen armen Linus damals dazu gebracht hatte, seine Gedanken zu „kommunizieren“ und seine Memoiren zu schreiben. „Gedanken aus einer anderen Welt“ oder so ähnlich würden sie heißen.
    Wäre Edda jetzt da, dann bräuchten sie diesen ganzen Zwinker-Schwachsinn gar nicht. Sie würden sich ansehen und – über was für Frequenzen oder Wellen auch immer – sie würden miteinander reden. Er würde ihr endlich mitteilen, was er für sie empfand. Er würde ihr sagen, dass er es liebte, wie sie ihre Haare aus der Stirn schüttelte, wie sie so stolz dabei den Kopf in den Nacken warf. Er würde ihr sagen, dass ihre Ernsthaftigkeit ihn verstummen ließ, dass ihn, wenn sie nachdachte, das Kräuseln auf ihrer Nase innerlich jubeln machte. Dass ihn ihre Fähigkeit beglückte, sich so konzentrieren zu können, dass sie absolut nichts mehr um sich herum wahrnahm. Dass ihm ihr Lächeln genügte, wenn er sich seine glückliche Zukunft vorstellte.
    „Wir werden es morgen noch einmal versuchen“, sagte die Ärztin schließlich. „Das wird schon.“
    Zweimal schnell hintereinander schloss Linus die Lider, aber nur weil die Ärztin das nicht mehr sehen konnte. Er wollte nicht daran glauben, dass „das schon wieder wird“. Das war das, was ihm auch die Flanders, was ihm die Lehrer eingeredet hatten, nachdem seine Eltern verschwunden geblieben waren. Nein. Linus war mit Hoffnungssprüchen nicht mehr zu beeindrucken.
    Viel lieber war es ihm gewesen, wie ehrlich Olsen mit ihm geredet hatte, nachdem er Thorben kurz und knapp darüber informierte, was geschehen war.
    „Wenn ich irgendwie helfen kann, anrufen“, hatte Thorben noch gesagt und war dann eilig verschwunden, als er draußen seine Mutter nach ihm rufen gehört hatte.
    Olsen hatte ihm amüsiert hinterhergesehen.
    „Vielleicht können wir seine Hilfe wirklich noch mal brauchen“, sagte Olsen und hatte Linus dann ehrlich geschildert, was er befürchtete. Es war abzusehen, dass die Polizei irgendwann über das aktuelle Linus-Foto und die Überwachungsvideos aus dem Schwimmbad den Zusammenhang zu Clints Tod herstellen würde. Darauf wollte Olsen vorbereitet sein. Und deshalb wollte er mit Linus besprechen, zu was er bereit war.

    Im Laufe der letzten Stunden hatte Olsen noch einmal alles rekapituliert, was seit dem Abschied von Elisabeth geschehen war. Dazu hatte er sich in seinen Wagen zurückgezogen und darauf vertraut, dass der klare, logische Geist des Kriegers, der er mal gewesen war, das Kommando in seinem Denken übernahm. Es gelang ihm nicht. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem Moment zurück, in dem er die Zärtlichkeit der streichelnden, der schützenden Hand erfahren hatte. Er versuchte, diese Gedanken zu verdrängen, doch er erkannte, dass er sie zulassen musste, bevor es ihm möglich sein würde, analytisch zu denken.
    Olsen atmete also tief und gleichmäßig und rief den Moment in seiner Erinnerung auf. Er sah sich bei Linus, sah wie er seine Hand zögernd zum Kopf des Jungen führte. Gänsehaut kroch plötzlich seinen Nacken hinauf. Grelles Licht tauchte auf. Wärme. Sonne. Wellen. Er roch das Meer. Hörte eine Stimme, die leise und ruhig ein Kinderlied sang. Eine Frauenstimme. Olsen fühlte sich geborgen; gehalten. Sein Atem ging tief und schnell. Er schaute auf, wollte das Gesicht der Frau sehen. Doch begannen die Eindrücke aus der Erinnerung sofort zu verblassen, als würde ein Film abgeblendet. Olsen wollte die Geräusche und Bilder festhalten, doch sie verschwanden ins Schwarz, ohne dass er die Frau, von der er glaubte, dass sie seine Mutter war, hatte erkennen können.
    Erschöpft hockte Olsen hinter dem Steuer seines Wagens. Er kam zur Ruhe und merkte plötzlich, dass ihm ein Geruch geblieben war. Ein Parfum. Lavendel. Ein dunkelgrüner Flakon kam ihm in den Sinn; golden war der Verschluss.
    Olsen versetzte das alles in eine große Ruhe. Er hatte eine weitere Ahnung empfunden, geliebt worden zu sein, und er war auf einmal vollkommen sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, dass er sich an sein ganzes Leben würde erinnern können; auch an die guten, die unbeschwerten

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