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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
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Van schlingerte, schleuderte, prallte unkontrolliert gegen den Bordstein und blieb dann umgedreht zur Fahrtrichtung stehen.
    Bixby fuhr davon.
    Greg versuchte, den abgewürgten Motor wieder zu starten, aber Bixby war längst verschwunden.
    [3209]
    Vom Licht ins Dunkel.
    Aus dem hellen Krankenzimmer hatten sie ihn in Bixbys dunkle, abgeschirmte Höhle gebracht. Müde schaute Linus zu, wie über ihm eine Infusion baumelte, die eben neu angehängt worden war. Mit gekonnten Handgriffen und ohne viele Geräusche zu machen hantierte da jemand herum. Alles, was Linus wahrnehmen konnte, beruhigte ihn und ließ ihn schließlich einschlafen.
    Vom Fußende des Bettes aus beobachtete Thorben, wie seine Mutter Linus fachgerecht versorgte. Schweigend verrichtete sie ihre Arbeit und nur ab und an traf Thorben ein vorwurfsvoller Blick. Thorben rührte das nicht. Er war stolz, dass er es war, der dafür gesorgt hatte, dass seine Mutter ihren Dienst nun an Linus tat, und er fand, dass er in gewisser Weise über sich hinausgewachsen war.

    Nachdem er in dem ganzen Tohuwabohu entkommen war, hatte Thorben wie vereinbart nach anderthalb Stunden Olsen angerufen. Um exakt „Null-Sechs-Fünfzig“, wie Olsen es vorgegeben und Thorben es eingehalten hatte. Olsen hatte die geglückte Flucht bestätigt und den neuen Standort durchgegeben. Die folgenden zwanzig Minuten wartete Thorben in der Küche darauf, dass seine Mutter von ihrem Nachtdienst heimkommen würde. Er hatte sich einen Schlachtplan zurechtgelegt, mit dem er sie überzeugen wollte zu helfen. Doch wenn er ehrlich war, bestand dieser Plan aus nicht viel mehr als Bitten und dem Versprechen seinerseits, der Mutter noch mehr dabei zu helfen, dass sie den Alltag gemeinsam besser bewältigten. Dann war die Mutter zurückgekehrt und hatte, ohne Thorben zu Wort kommen zu lassen, von der Entführung eines jungen Patienten und der Polizeiaktion berichtet. Und davon, dass dieser junge Patient als Mörder gesucht wurde. Wie von Thorben nicht anders erwartet, verfiel sie sofort in ihren bekannten Sermon von der Verderbtheit der heutigen Jugend.
    „Sei still!“, fuhr Thorben auf einmal dazwischen, und ihm war selber nicht ganz geheuer, dass ihm das so laut und entschieden geraten war. Aber es hatte gewirkt. Die Mutter verstummte und sah ihn erschrocken an.
    „Tut mir leid, Mama“, sagte Thorben, ohne an Entschiedenheit zu verlieren. „Aber wenn du so über ‚die Jugend‘ redest, dann redest du auch über mich. Und über meine Freunde. Und das werde ich nicht mehr zulassen.“
    „Bitte ...?“ Thorbens Mutter konnte immer noch nicht fassen, was ihr Sohn da sagte.
    „Linus ist mein Freund“, sagte Thorben.
    „Linus?“, fragte die Mutter.
    „Der Junge, der entführt wurde“, erklärte Thorben.
    „Du bist mit einem Mörder befreundet?“ Thorbens Mutter rang nach Luft und sank auf den Küchenstuhl nieder. Dennoch hatte sie das Gefühl, sie müsse sich zusätzlich am Tisch festhalten. Sie starrte Thorben an und schüttelte den Kopf, sodass ihre kleinen Löckchen um ihr Gesicht tanzten, als wollten sie sich über den Ernst der Lage lustig machen.
    „Das ist das Ende“, seufzte sie. „Das Ende ...“
    „Du weißt gar nichts von Linus, aber du verurteilst ihn sofort“, redete Thorben streng weiter.
    „Er wird gesucht. Wegen Mordes!“
    „Er ist kein Mörder, glaub mir. Ich kenne ihn.“
    „Wir müssen die Polizei verständigen“, sagte sie matt und griff nach dem Telefon, das auf dem Tisch lag. Thorben war schneller und schnappte ihr den Hörer weg.
    „Nee! Werden wir nicht!“, sagte er. „Im Gegenteil. Wir werden Linus helfen.“ Er schaute sie an, wie sie hilflos vor ihm hockte, und seine Stimme klang verbindlicher, aber nicht weniger entschlossen. „Du wirst ihm helfen“, sagte er. „Und du wirst mir zuhören, was ich dir über Linus und meine Freunde zu sagen habe.“
    Thorbens Mutter hörte in den folgenden Minuten gar nicht unbedingt auf die Worte, die Thorben zu ihr sprach. Sie schaute vor allem in sein Gesicht und stellte zum ersten Mal fest, dass ihr dieser Junge fremd war. Die Art, wie er redete, wie er formulierte. Die Klarheit und Entschlossenheit, die er auf einmal an den Tag legte, jetzt wo er sich so vehement für jemand anderen einsetzte. Wo es nicht um das Erquengeln von Süßigkeiten an der Aldi-Kasse ging. Wann und wie war diese Veränderung geschehen? Hatte sie es in dem ewigen Trott des Alltags nicht mitbekommen? Thorben war kein kleiner Junge mehr.

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