Abbey Road Murder Song
mit anderen Augen. Die Jungs, die mit ihren Motorrädern über die Feldwege brettern. Die Alten, die zum Angeln runter ans Meer gehen.«
Die Glocke für die letzte Runde wurde geläutet. »Wir sollten gehen«, sagte Breen leise.
»Oder den eigenen Vater, wissen Sie? Irgendwann kommt einem sogar dieser Gedanke in den Sinn.«
Die Alten drängten an den Tresen, um sich ein letztes Pint zu holen.
»Haben Sie was zu essen zu Hause?«, fragte Tozer. »Ich sterbe vor Hunger.«
Breen dachte nach – eine Dose Tomaten, Brot, das aber wahrscheinlich längst hart war, eine Dose Hering, ein Stück vergammelten Käse und ein paar Zwiebeln.
Joe’s All Night Bagel Shop war gut besucht, lauter Leute, die nach der Arbeit noch vorbeigekommen waren, aber Tozer war die einzige Frau. An einem Tisch saßen zwei Chinesen und spielten Karten. Ein paar Pakistanis zankten laut und tranken gemeinsam in einer Ecke Tee.
»Hey, nicht so laut«, rief Joe, als er Tozers Essen brachte.
»Das ist hier ja wie bei den Vereinten Nationen«, sagte Tozer und sah sich verwundert um.
»Ja, oder?«, sagte Joe. »Hier sind keine zwei Leute derselben Meinung.« Er drehte sich um und rief erneut den Pakistanis zu, sie sollten leiser reden. »Was ist mit deinem Arm los? Haben sie dich verprügelt?«
Tozer machte sich über ihr Essen her. Würstchen, Bohnen, zwei Spiegeleier, gebratene Zwiebeln, Kartoffelbrei. Breen sah ihr beim Essen zu und staunte über ihren Appetit.
»Und wenn es einer war, mit dem sie was hatte?«, fragte Tozer und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Breen fragte sich eine Sekunde lang, ob sie über ihren gemeinsamen Fall oder über den Mord an ihrer Schwester sprach, bis sie hinzusetzte: »Deshalb hat niemand gemeldet, dass sie verschwunden ist. Weil er nicht will, dass es an die Öffentlichkeit kommt.«
Er nickte. »Das lässt mir auch keine Ruhe. Und dass ihre Eltern nichts unternehmen.«
»Wie lange wird es dauern, sie ausfindig zu machen?«
»Nicht lange. Montagmorgen müssten wir was wissen.«
Sie blieben eine Weile schweigend sitzen, er sah zu, wie sie sich an dem Teller abarbeitete und sich das Café währenddessen leerte, die Gäste gingen nach Hause oder zur Nachtschicht. Als die letzte Bohne verputzt war, lehnte Tozer sich zurück.
»Sie müssen Geduld haben«, sagte Breen. »Irgendwas wird sich ergeben.«
»Wirklich?«, fragte sie und sah ihn düster an. »Bei meiner Schwester hat sich seit vier Jahren nichts ergeben, und ich glaube nicht, dass jemals was rauskommen wird.«
»Entschuldigung. Ich meinte, in unserem Fall.«
»Ich weiß.«
An diesem Abend arbeitete auch Joes Tochter. Sie stand hinter dem Tresen und wusch ab, den wachsenden Bauch an die Spüle gepresst – es sah aus, als müsste das Baby bald kommen. Joe hatte sie dort stehenlassen und war mit einem Besen in der Hand nach vorne gekommen. Jetzt fegte er den Gastraum mit langen Zügen sorgsam aus, mied Breen und Tozers Tisch, hielt gelegentlich inne, um Stühle zu verrücken.
In der Küche ließ Joes Tochter das Radio laufen. Nachdem der Wetterbericht Regen angekündigt hatte, wurde vor allem über die Olympischen Spiele in Mexiko berichtet, wo zwei schwarze amerikanische Athleten bei der Siegerehrung die Fäuste zum Black-Power-Gruß erhoben hatten. »Eine vulgäre Zurschaustellung politischer Interessen. Selbstverständlich sollten sie unverzüglich disqualifiziert und der Spiele verwiesen werden«, beklagte sich ein britischer Sportreporter. »Ach, halt deine bescheuerte Fresse«, brummte Joe ärgerlich und schaltete das Radio aus.
»Ich hab wirklich gedacht, er war’s«, sagte Tozer. »Rider, meine ich. Obwohl ich eigentlich wusste, dass es nicht ihr Kleid gewesen sein konnte. Eigentlich wusste ich’s, dann aber auch wieder nicht. Ich wollte glauben, dass er’s war. Ein alter Mann. Eine arme alte Sau. Meinen Sie, er kommt drüber weg?«
»Daran müssen Sie sich gewöhnen«, sagte Breen. »Man bekommt nie das ganze Bild zu Gesicht, immer nur Teile davon. Den Rest muss man sich denken, man muss Vermutungen anstellen. Und meistens irrt man sich. Wenn man sich aber gar keine Gedanken macht über das, wasfehlt, blickt man nie durch. Man hat gar keine andere Wahl.«
»Dafür sind die ganzen Zettel, oder?«
»In gewisser Weise. Manchmal sitze ich da und überlege, in welcher Reihenfolge ich sie anordnen soll. Ob es Zusammenhänge gibt. Das ist alles. Die Zettel helfen mir beim Denken.«
»Dann machen Sie das bei jedem
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