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Abbild des Todes

Abbild des Todes

Titel: Abbild des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Heggan
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unglaublichen Neuigkeiten nach, die sie in der Nacht zuvor erfahren hatte.
    Ihr Vater lebte! Die Traurigkeit und Sehnsucht, die sie als Kind stets gespürt hatte, wenn sie ihre Freundinnen mit ihren Vätern spielen und lachen gesehen hatte, war nur noch eine ferne Erinnerung. Nach all der Zeit hatte sie nun endlich auch jemanden, den sie Daddy nennen konnte. Und auch wenn ihr bewusst war, dass sie niemals wieder eine richtige Familie sein konnten – jedenfalls nicht so, wie es einmal gewesen war –, erfasste sie bei dem Gedanken daran, ihn kennen zu lernen, ein Gefühl der Aufregung.
    Doch bevor sie wieder vereint sein konnten, musste Zoe mehr über ihn erfahren, als Rick ihr erzählt hatte. Vor allem musste sie wissen, wieso ihre Mutter die Wahrheit so lange vor ihr verborgen hatte. Warum hatte sie ihr nicht erzählt, wer ihr Vater wirklich war, als sie alt genug dafür war? Warum hatte sie mit falschen Fotos und erfundenen Erinnerungen an dem Versteckspiel festgehalten?
    Endlich verlangsamte sich das stete Brummen des Motors, und der Bus hielt vor dem Cape May Transportation Center an der Lafayette Street. Als sie ausstieg, sog Zoe die salzige klare Luft ein. Obwohl es ein wolkenverhangener und nebliger Tag war, war es zu dieser Jahreszeit in Cape May gute vier Grad wärmer als in New York. Und es lag kein Schnee.
    Im 17. Jahrhundert von einem holländischen Seefahrer entdeckt, hatte die Stadt den Ruf, das älteste Seebad im Land zu sein – und das malerischste. Die beliebteste Attraktion von Cape May war seine Sammlung antiker viktorianischer Häuser. Einige waren in Bed-and-Breakfast-Pensionen verwandelt worden, andere gehörten Familien, die seit Generationen in der Gegend lebten.
    Das
Rose Cottage
lag im Herzen der Altstadt, nur einen kurzen Fußweg vom Busbahnhof entfernt. 1859 hatte ein Eisenbahnbaron aus Philadelphia es gebaut und nicht nur Unsummen an Geld ausgegeben, sondern auch ein Auge für Architektur besessen. Vor vier Jahren war das Haus zum Kauf angeboten worden – und Catherine Foster hatte, ohne lange zu zögern, alles verkauft, was sie besaß, sich den noch fehlenden Rest der Kaufsumme von der Bank geliehen und Haus samt Grundstück erworben.
    Nach monatelanger Renovierung wurde das dreistöckige Haus, das Catherine
Rose Cottage
nannte, bald das beliebteste Bed-and-Breakfast im Ort.
    Es war kurz nach elf, und auf den Straßen flanierten schon die Gäste, die sich über die Weihnachtsfeiertage einquartiert hatten oder die die beliebte Kerzenlicht-Tour durch die alten Häuser erleben wollten. Das hellrosa gestrichene
Rose Cottage
glänzte genauso festlich wie die Nachbarvillen, verzierte Tannenzapfen hingen in den Fenstern, und auf der Veranda stand ein großer Weihnachtsbaum.
    Der Duft von frisch gebackenem Ingwerbrot wehte ihr entgegen, als Zoe die Tür aufstieß. Die Eingangshalle erstrahlte in weihnachtlicher Dekoration – Weihnachtsmänner, glitzernde Kissen, riesige Kerzen und anderer Schmuck, den ihre Mutter über die Jahre gesammelt hatte. Ein weiterer Baum, geschmückt mit viktorianischen Ornamenten, stand in einer Ecke.
    “Gibt’s hier draußen keine Bedienung?”, rief Zoe.
    Fast zeitgleich ertönte das Klappern schneller Schritte auf dem Parkettboden.
    “Zoe!” Catherine Foster eilte auf ihre Tochter zu. “Ich glaub’s ja nicht. Hast du es dir also doch noch anders überlegt.”
    Immer elegant, selbst wenn sie Lulu in der Küche half, trug Catherine eine dunkelgrüne Hose und einen weinroten Rollkragenpullover. Ihre blonden Haare, in denen immer noch kein Ansatz von Grau zu erkennen war, trug sie in einem klassischen Bob, der ihre feinen Gesichtszüge vorteilhaft betonte. Mit ihren strahlenden blauen Augen und der makellosen Haut wirkte sie mindestens zehn Jahre jünger als ihre vierundfünfzig Jahre, und niemand sah ihr an, dass sie vor einem Jahr einen Herzinfarkt erlitten hatte.
    Nachdem sie Zoe herzlich umarmt hatte, hielt sie sie auf Armeslänge von sich. “Lass dich anschauen. Nein, du hast dich nicht verändert. Du bist immer noch die wunderhübsche Tochter, die ich so liebe.”
    Zoe lachte. “Oh, Mama, so lange ist es nun auch wieder nicht her.”
    “Fast drei Monate.”
    “Wenn du mich so vermisst, wieso kommst du mich dann nicht ab und zu in New York besuchen? Du warst nicht mehr da, seitdem du mir geholfen hast, das Loft zu dekorieren.”
    “Ach, du weißt doch, wie sehr ich die Stadt hasse. Fünfundzwanzig Jahre dort waren lang genug.” Sie blickte sich um.

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