Abbild des Todes
betrachtete.
Es hatte keinen Zweck. In ihrem Kopf spielte sich immer wieder der gleiche Film ab, wie eine Endlosschleife. Um zwei Uhr nachts, total erschöpft, aber immer noch nicht in der Lage einzuschlafen, stand sie auf und machte sich auf die Suche nach Ricks Schlafzimmer. Sie fand es, indem sie dem leichten Duft folgte – das Zitronenaftershave, das sie so gut kannte.
Sie stand in der offenen Tür und lauschte seinen tiefen gleichmäßigen Atemzügen. Sie sollte nicht hier sein. Er brauchte seine Ruhe.
Gerade wollte sie zurück in ihr Bett gehen, als er sich plötzlich aufsetzte.
“Zoe?”
“Ich konnte nicht schlafen”, murmelte sie.
Er knipste das Licht an und blinzelte, während sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnten. “Dann komm her.” Er hob die Decke an und klopfte neben sich auf die Matratze.
“Nein, ich sollte nicht …”
“Doch, solltest du.” Er gab der Matratze einen erneuten Klaps. “Hüpf rein. Wenn du es nicht tust, bekommt keiner von uns heute Nacht seinen Schlaf. Also komm. Ich verspreche dir auch, brav zu sein.”
Ein Lachen – oder war es ein Schluchzen – steckte in Zoes Kehle. Doch schließlich lief sie schnell zu Ricks Bett und kuschelte sich unter die Decke, froh darüber, nicht in ihr eigenes leeres Zimmer zurückkehren zu müssen.
Als wäre es das Natürlichste von der Welt, nahm er sie in den Arm und zog sie an sich. “Bequem?”
“Ja.” Oh ja. Sehr sogar.
Er drückte auf den Lichtschalter, und erneut umgab sie Dunkelheit. Aber dieses Mal machte es ihr nichts aus. Dieses Mal war sie nicht allein.
Sanft streichelte er mit seinen Fingern über ihr Haar, wie er es früher immer getan hatte. “Möchtest du reden?”, fragte er.
Sie spürte, wie die Müdigkeit sie zu überwältigen begann. “Vielleicht … später.”
Er küsste sie auf den Scheitel. “Gute Nacht, Red.”
Zoe erwachte langsam, schlaftrunken, ihre Arme und Beine in der weichen Decke verheddert. Ohne zu wissen, warum, fühlte sie sich verspannt und begann sich zu strecken.
Mit einem Mal traf es sie wie ein Schlag. Die Schießerei in Spring Lake.
Ruhiger, aber dennoch unendlich traurig, ließ sie sich die Ereignisse des Vortages noch einmal durch den Kopf gehen. Sie dachte an den Vater, den sie verloren hatte – ein zweites Mal verloren hatte –, und an die Zukunft, die sie nicht mehr zusammen erleben würden. Sie dachte an sein Gesicht, das sie fest in ihrer Erinnerung gespeichert hatte, die harten Linien, die durch sein sanftes Lächeln gemildert wurden. Sie dachte daran, wie er sie umarmt hatte, an den Ausdruck purer Freude, als er die Perlen seiner Mutter aus dem schwarzen Samtbeutel geholt hatte. Mit ihren Fingern berührte sie ihren Hals. Sie waren noch immer da.
Die Bilder verschwanden von alleine, ohne dass sie sie dazu zwingen musste. Als Zoe sich aufsetzte und bemerkte, dass sie sich nicht in ihrem eigenen Zimmer befand, rückten andere Gedanken in den Mittelpunkt. Letzte Nacht hatte sie Trost und Wärme gesucht und genau gewusst, wo sie sie finden würde. Sie konnte sich nur daran erinnern, wie sie sich an Rick gekuschelt und die Augen geschlossen hatte und schließlich in einen heilsamen Schlaf gesunken war.
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte neun Uhr. Zoe schlug die Decke zurück und sah einen Zettel auf dem Kopfkissen neben sich liegen. Sie erkannte Ricks Handschrift. “Hoffe, dass du immer noch Schokoladencroissants magst. Wenn du etwas brauchst, ruf den Portier über die Gegensprechanlage an der Wohnungstür an und bitte ihn, es zu schicken. Ich habe mir die Freiheit erlaubt, in deiner Tasche nach deinem Wohnungsschlüssel zu suchen, damit Lenny und ich die Sachen holen können, die du benötigst.”
Sie kletterte aus dem Bett. Als sie am Spiegel vorbeikam, betrachtete sie sich. Außer einigen oberflächlichen Kratzern auf Wange und Stirn, wo sie mit dem Gesicht auf dem Asphalt aufgeschlagen war, war nichts zu sehen. Was die leichten Schmerzen anging, die sie vorhin gespürt hatte, die waren nun kein Rätsel mehr. Sie war hart auf den Boden gefallen und hatte sich einige blaue Flecken geholt.
Barfuß ging sie ins Wohnzimmer hinüber. In einer sonnigen Ecke standen ihr Zeichenbrett – mit allem, was sie brauchte –, ihr Laptop und ein Koffer. Sie öffnete ihn und musste lächeln. Rick hatte eine gute Auswahl getroffen, sogar an die passenden Schuhe hatte er gedacht.
In der Küche fand sie einen Korb mit frischen Schokoladencroissants und einen Becher Kaffee,
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