Abby Cooper 02 - Moerderische Visionen
aufzustehen. Ich brauchte Hilfe, aber alle Helfer schienen vor dem Haus im Einsatz zu sein.
Ein wenig stumpfsinnig schwankte ich über den Rasen, ohne noch auf das Haus zu achten, denn ich wusste, es war verloren.
Ich gelangte an das seitliche Gartentörchen, und was ich sah, brachte mein Herz zum Stocken.
Fratze und Kobold standen mit feixenden Gesichtern in meiner Auffahrt, ringsherum meine Nachbarn, die entsetzt auf mein Haus zeigten. Manche weinten, als wäre es ihr eigenes.
Wenn ich durch das Gartentor nach vom ginge, würde ich als Erstes auf Fratze und Kobold treffen. Doch meine Nachbarn und die Polizei standen auch dort - da konnten mir die beiden doch kaum gefährlich werden, oder?
In dem Moment meldete sich meine Intuition lautstark und aus reiner Gewohnheit neigte ich den Kopf und lauschte. Geh nicht..., fuhr es mir wieder und wieder durch den Kopf. Mit der Hand am Gartentor überlegte ich, was ich tun sollte. Geh nicht!, schrie es in mir. Ein plötzlicher Hustenreiz überkam mich und Fratze drehte abrupt den Kopf in meine Richtung. Er konnte mich durch das Gartentor nicht sehen, aber ich sah entsetzt, wie er Kobold auf die Schulter schlug und die zwei sich unauffällig von den Schaulustigen wegbewegten.
Verschwinde!, schrie meine Intuition. Hastig wich ich vom Tor zurück. Ich huschte schnell in die Schatten der Sträucher und nach hinten zum Geräteschuppen. Dort stand eine Komposttonne und ich stemmte mich hinauf und schwang mich über den Gartenzaun. Dabei handelte ich mir ein paar Splitter ein, aber bei allem, was ich schon hinter mir hatte, konnte mich das am wenigsten erschüttern.
So leise wie möglich durchquerte ich den Garten meines Nachbarn, verzweifelt bemüht, trockenes Laub zu meiden, weil es unter meinen Schuhen knisterte. An der Auffahrt angelangt, beobachtete ich nervös die Fenster und die Haustür. Der Grund war mir nicht ganz klar, aber ich durfte nicht riskieren, gesehen zu werden. Es war ungeheuer wichtig, dass die Leute glaubten, ich sei in den Flammen umgekommen, zumindest fürs Erste.
Während der folgenden Stunde lief ich auf möglichst dunklen Wegen zu meinem Bürohaus. Mit dem Auto waren es nur zehn Minuten dorthin, zu Fuß eine halbe Stunde. Ich brauchte noch zwanzig Minuten länger.
Völlig durchgefroren von der Novemberkälte lief ich den Block entlang zum Hintereingang. Inzwischen war es halb neun und vermutlich war keiner mehr im Gebäude. Nachdem ich den Türöffnercode eingetippt hatte, schlich ich mich die Hintertreppe hinauf und den Flur entlang zu meiner Praxis.
Drinnen schaltete ich keine Lampe ein. Stattdessen zündete ich aus dem Sitzungszimmer eine Kerze an und ging damit zum Schreibtisch, zog einen Schlüssel aus meiner Handtasche und schloss damit die unterste Schublade auf, um eine Geldkassette hervorzuholen. Diese öffnete ich mit einem weiteren Schlüssel meines Schlüsselbunds und hob den Deckel.
Als ich hineinsah, durchströmte eine Mischung aus Melancholie und Erleichterung meinen betäubten Körper. Da lagen dreitausend Dollar in der Kassette und ich dachte daran, wann ich das Geld zuletzt in der Hand gehabt hatte.
Vor drei Jahren hatte ich eine sehr lebendige und machtvolle Vision gehabt. Ich meditierte gerade und einer meiner Geister meldete sich mit einer sehr energischen Botschaft. Erwies mich an, so schnell wie möglich dreitausend Dollar zu sparen und in einer Stahlkassette in der untersten Schreibtischschublade aufzubewahren. Er befahl mir geradezu, das Geld niemals anzurühren, außer in einer absoluten Notlage. Ich weiß noch, wie ich damals dachte, dass meine Einbildungskraft mir bestimmt einen Streich spielte, und wie stark dennoch der Drang, zu gehorchen, war.
Es dauerte einige Monate, bis ich das Geld zusammenhatte, vor allem weil ich damals auf ein Haus sparte - welches nun in Schutt und Asche lag. Seit dieser Zeit hatte ich nicht mehr an die Kassette gedacht, doch im Garten meines Nachbarn war sie mir plötzlich in den Sinn gekommen. Dies war nun also die besagte Notlage.
Ich nahm einige Scheine heraus und steckte sie in die Handtasche, dann blies ich die Kerze aus, ging hinaus und den Flur entlang zur Damentoilette. Ich schloss mich darin ein und wandte mich dem Spiegel zu. Mein Anblick war erbärmlich.
Haut, Kleidung und Haare waren voller Ruß. Mein Pullover war außerdem zerrissen, Gesicht und Arme aufgekratzt, meine Augen bis auf schmale Schlitze zugeschwollen. Hastig wandte ich den Blick ab und ging ans Waschbecken, zog
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