Abby Cooper 02 - Moerderische Visionen
zu. Er war nicht mehr weit entfernt, als er erneut in seine Posttasche griff. Diesmal holte er einen Montierhebel heraus. Jetzt fiel mir ein, warum ich Angst hatte und warum ich wegrennen sollte. Ich wollte auf dem Absatz kehrtmachen, aber meine Füße waren wie angewurzelt. Ich konnte sie nicht bewegen. Ich fühlte mich wie betäubt, kraftlos und als könnte ich die Augen gar nicht richtig öffnen. Ich wollte schreien, aber kein Ton kam heraus. Er war nur noch zehn Schritte entfernt. Neun. Acht. Sieben ... Ich nahm meinen ganzen Willen zusammen und hob das rechte Bein an, trat vor, kam endlich in Bewegung und fiel aus dem Bett auf den harten Holzboden. Ich riss die Augen auf. Mein Atem ging heftig.
»Ein Traum«, sagte ich in die Dunkelheit. »Es war nur ein Traum.«
Nach einem Moment hatte ich mich wieder gefasst und stand vom Boden auf. Auf wackligen Beinen holte ich meinen Morgenmantel vom Haken an der Tür, dann ging ich die Treppe runter, durchs Wohnzimmer, in dem es beträchtlich wärmer war als oben, und in die Küche, wo ich das Licht einschaltete. Blinzelnd wartete ich, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte, dann setzte ich mich an den Tisch, um zu mir zu kommen.
Den Kopf in die Hände gestützt saß ich da, sinnierte über den Traum und meine Angst und sagte mir ganz vernünftig, dass mein Unterbewusstsein nur ein paar Eindrücke verarbeitete, die ich im Laufe des Tages aufgeschnappt hatte. Da war jedoch ein Detail, das mich beunruhigte, aber ich konnte den Finger nicht drauflegen. Klar war nur, es verdiente unbedingte Beachtung.
Ich stand auf, kramte kurz in den Oberschränken und holte das Kakaopulver heraus, das ich immer vorrätig hatte. Ich füllte einen großen Henkelbecher mit Milch und stellte ihn für eine Minute in die Mikrowelle.
Dann nahm ich einen Block und einen Kuli von der Küchentheke und setzte mich wieder an den Tisch, bis die Mikrowelle klingelte. Nachdem ich die Tasse herausgenommen und das Kakaopulver hineingerührt hatte, ging ich an den Tisch zurück und starrte ins Leere, um meine Gedanken zu sortieren. Offensichtlich hatte ich von dem Sexualtäter geträumt und meinem Gefühl nach enthielt der Traum mehrere Hinweise, die ich mir unbedingt notieren sollte.
Nach ein paar heißen Schlucken Kakao nahm ich den Kuli und begann alles aufzuschreiben, was ich von dem Traum noch wusste: dunkler Parkplatz, abgestellte Autos, Postbote, Skimaske, Montierhebel. Dann betrachtete ich die Auflistung und meine Intuition summte.
Eggy kam die Treppe heruntergesprungen, während ich auf das Papier blickte, und ich hob ihn schließlich auf meinen Schoß.
Er war schläfrig und so breitete ich die Zipfel meines Morgenmantels über ihn.
Als ich mich wieder den Notizen zuwandte, fragte ich mich: Wofür steht der Postbote? Post bedeutete Neuigkeiten. Und oft kam sie von weit her. Ich fragte mich, ob Milo bei den Kollegen in Vegas etwas in Erfahrung gebracht hatte.
Doch meinem Gefühl nach war das nicht die richtige Antwort. Der Postbote war wegen etwas anderem wichtig, wegen etwas, das ich noch nicht erfasste. In der Posttasche war kein Brief gewesen, sondern die Maske und der Montierhebel. Wofür stand der Mann also?
Dann ging mir ein Licht auf und ich schnappte nach Luft. Ich stand auf, trug Eggy ins Wohnzimmer, wo ich ihn sanft auf die Couch legte, und eilte zu meiner Handtasche. Es dauerte einen Moment, aber schließlich fand ich die Karte und wählte sofort die angegebene Piepernummer. Nach dem ersten Klingelton tippte ich meine Privatnummer ein und fügte eine 911 als Notfallsignal an, dann legte ich auf und schritt auf und ab.
Innerhalb von zwei Minuten klingelte mein Apparat und auf meinen bangen Gruß antwortete eine schlaftrunkene Stimme: »Abby? Was ist los?«
»Vielen Dank, dass du mich zurückrufst, und es tut mir leid, dass ich dich um diese Zeit aus dem Schlaf reiße.« Ich warf einen Blick auf die Wanduhr. »Oh, ach du je, es ist erst vier. Aber ich muss dich dringend etwas fragen. Arbeitet Jeffrey Zimmer bei der Post?«
»Wie bitte?«
»Jeff Zimmer, dein Hauptverdächtiger in dem Vergewaltigungsfall!« Ich schrie praktisch vor lauter Aufregung. »Arbeitet er bei der Post?«
Ein kurzes Zögern, während Milo sich zu einer Antwort durchrang. »Nein. Er ist IT-Spezialist bei Verizon.«
Hatte ich‘s doch gewusst. »Er ist nicht euer Täter«, sagte ich entschieden.
»Willst du mir vielleicht sagen, worum es geht?«
»Na gut, du wirst zwar denken, ich bin verrückt,
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