Abendruh: Thriller (German Edition)
Frau nicht sehen konnte, bemerkte sie, wie ihr Rücken plötzlich steif wurde und ihre Schultern sich strafften. »Wir sind unterwegs«, sagte sie und legte auf.
»Was ist passiert?«, fragte Jane.
»Ich hatte einen Agenten vor Ort. In der Schule.«
»Hatte?«
»Seine Leiche wurde gerade gefunden.« Carole sah Jane an. »Wie es aussieht, hat der letzte Akt soeben begonnen.«
29
»Wir sollten die Schule evakuieren«, sagte Sansone, während er den Safe im Kuriositätenkabinett aufschloss. Er zog die Tür auf und nahm eine Pistole heraus. Maura sah zu, wie er geschickt 9-mm-Patronen in das Magazin schob. Es verblüffte sie, wie vertraut er offenbar mit der Waffe war. Sie hatte ihn noch nie mit einer Pistole in der Hand gesehen, doch es war offensichtlich, dass er nicht nur mit der Waffe umgehen konnte, sondern auch bereit war, sie einzusetzen. »Wenn wir die Kinder jetzt wecken«, sagte er, »könnten wir in zehn Minuten losfahren.«
»Und wohin sollen wir sie bringen?«, fragte Maura. »Außerhalb dieser Mauern sind wir angreifbar. Sie haben dieses Schloss in eine Festung verwandelt, Anthony. Sie haben eine Alarmanlage und massive Türen, die jedem Angriff standhalten.« Und eine Pistole , dachte sie, während sie beobachtete, wie er das Magazin einrasten ließ. »Jane hat gesagt, wir sollen uns verschanzen und warten, bis sie hier ist. Und das sollten wir auch tun.«
»Ganz gleich, wie sicher ich dieses Schloss gemacht habe, wir sind immer noch ein unbewegliches Ziel.«
»Aber hier drin sind wir sicherer als draußen. Jane war am Telefon sehr deutlich. Bleibt zusammen. Bleibt im Haus. Traut niemandem. «
Er steckte die Pistole in seinen Gürtel. »Lassen Sie uns noch einen letzten Kontrollgang machen«, sagte er und verließ das Kuriositätenkabinett.
Mit der einbrechenden Dunkelheit war es kühl geworden, und während sie ihm in die Eingangshalle folgte, schien die Temperatur noch weiter zu fallen. Sie verschränkte die Arme und sah zu, wie er die Haustür überprüfte, wie er einen Blick auf die elektronische Anzeige der Alarmanlage warf, um sich zu vergewissern, dass sie scharf geschaltet war und nirgends irgendwelche Unregelmäßigkeiten zu verzeichnen waren.
»Detective Rizzoli hätte am Telefon etwas ausführlicher sein können«, bemerkte Sansone und ging weiter in den Speisesaal, wo er die Fenster inspizierte und die Schlösser überprüfte. »Wir haben nicht die geringste Ahnung, wogegen wir eigentlich kämpfen.«
»Sie hat gesagt, sie dürfe uns nicht mehr verraten. Wir müssten einfach nur genau das tun, was sie uns sagt.«
»Ihr Urteil ist nicht unfehlbar.«
»Nun, ich vertraue ihr.«
»Und mir vertrauen Sie nicht.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und sie wussten beide, dass es stimmte. Er drehte sich um und sah sie an, und sie fühlte sich plötzlich mit erschreckender Heftigkeit zu ihm hingezogen. Doch sie sah zu viele Schatten in seinen Augen, zu viele Geheimnisse. Und sie dachte daran, wie verblüffend geschickt er mit der Waffe hantiert hatte – wieder etwas, was sie von ihm nicht gewusst hatte.
»Ich weiß nicht, wer Sie sind, Anthony«, sagte sie.
»Eines Tages«, erwiderte er mit einem angedeuteten Lächeln, »möchten Sie es vielleicht herausfinden.«
Sie verließen den Speisesaal und gingen weiter zur Bibliothek. Jetzt, da der größte Teil der Schüler und Lehrer weg war, herrschte im Schloss unheimliche Stille, und zu dieser späten Stunde konnte sie leicht glauben, dass sie hier vollkommen allein waren. Die letzten Bewohner einer verlassenen Zitadelle.
»Glauben Sie, dass Sie irgendwann lernen könnten, mir zu vertrauen, Maura?«, fragte er, während er von Fenster zu Fenster ging, ein düsterer Wächter, der durch das Halbdunkel glitt. »Oder wird da immer diese Spannung zwischen uns sein?«
»Sie könnten einen Anfang machen, indem Sie mir gegenüber offener sind«, sagte sie.
»Wir könnten beide diesen Rat beherzigen.« Er hielt inne. »Sie und Daniel Brophy – sind Sie noch zusammen?«
Bei der Erwähnung von Daniels Namen blieb sie plötzlich stehen. »Warum fragen Sie?«
»Sie müssen doch eine Antwort haben.« Er wandte sich zu ihr um, und der Schatten eines überhängenden Gesimses beschirmte seine Augen.
»In der Liebe ist nicht immer alles schwarz und weiß. Es geht chaotisch zu, manchmal bricht es einem das Herz, und manchmal hat eine Geschichte einfach kein Ende.«
Im Halbdunkel konnte sie gerade eben sein wissendes Lächeln ausmachen.
Weitere Kostenlose Bücher