Abendruh: Thriller (German Edition)
riechen, konnte es in der feuchten Luft spüren.
Schließlich kamen sie am Fuß der letzten Treppe an und betraten die riesige Küche, wo Maura mächtige Edelstahlherde, einen Kühlraum und Reihen von Töpfen und Pfannen an Deckenhaken erblickte. Hier also wurden die Eier gebraten, die sie zum Frühstück serviert bekamen, hier wurde ihr Brot gebacken. Doch um diese Uhrzeit war die Küche leer, Geschirr und Geräte bis zum Morgen weggeräumt.
Bear erstarrte plötzlich, den Blick auf die Tür eines Vorratskellers geheftet. Sein Nackenfell sträubte sich, und er stieß ein Knurren aus, ein Geräusch, das Maura mit jäher Panik erfüllte. Da war etwas hinter dieser Tür – etwas, das den Hund beunruhigte und ihn niederkauern ließ, bereit, den unsichtbaren Feind anzuspringen.
Ein metallisches Scheppern ertönte, laut wie ein Beckenschlag.
Maura fuhr zusammen, ihr Herz pochte wie wild, während das Echo in der Küche verhallte. Sie spürte Sansones Hand an ihrem Arm, konnte sich aber nicht erinnern, wann er ihn ergriffen hatte. Seine Hand war auf einmal da, als hätte er schon immer neben ihr gestanden, um sie zu stützen.
»Ich glaube, ich sehe ihn«, sagte Sansone leise. Seine Stimme war ruhig. Er ließ Mauras Arm los und begann, die Küche zu durchqueren.
»Anthony …«
»Es ist okay. Alles in Ordnung.« Er ging um die Kochinsel herum und beugte sich über etwas. Obwohl sie ihn nicht mehr sehen konnte, hörte sie seine Stimme, hörte ihn sanft murmeln: »He, du musst keine Angst mehr haben. Wir sind hier bei dir, mein Junge.«
Maura und Julian wechselten einen unsicheren Blick und folgten dann Sansone um die Ecke der Kochinsel. Dort fanden sie ihn über einen zitternden Teddy Clock gebeugt. Der Junge hatte sich ganz eng zusammengekauert, die Beine angezogen und die Arme fest um die Knie geschlungen.
»Er scheint okay zu sein«, sagte Sansone und blickte zu ihr auf.
»Er ist nicht okay«, sagte sie. Sie ging neben Teddy in die Hocke, nahm ihn in die Arme und wiegte ihn an ihrer Brust. Er war unterkühlt, seine Haut kalt wie Eis, und er zitterte so heftig, dass sie seine Zähne klappern hörte. »Ist ja schon gut«, murmelte sie. »Ich halt dich ganz fest, Teddy.«
»Er war hier«, flüsterte der Junge.
»Wer?«
»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, weinte er. »Ich hätte sie nicht dort zurücklassen sollen, aber ich hatte solche Angst. Deshalb bin ich weggelaufen …«
»Wo sind die anderen, Teddy?«, fragte Julian. »Wo sind Claire und Will?«
Der Junge drückte sein Gesicht an Mauras Schulter, als ob er sich an irgendeinem sicheren Ort verkriechen wollte, wo niemand ihn finden konnte.
»Teddy, du musst mit uns reden«, sagte Maura und schob ihn sanft von sich weg. »Wo sind die anderen?«
»Er hat sie alle in dieses Zimmer gebracht …« Die Finger des Jungen waren wie Klauen, die sich verzweifelt in ihre Arme bohrten.
Sie löste sich aus der Umklammerung und zwang ihn, sie anzusehen. »Teddy, wo sind sie?«
»Ich will nicht dahin zurück!«
»Du musst es uns zeigen. Wir bleiben ganz nah bei dir. Führ uns einfach nur hin, mehr musst du gar nicht tun.«
Der Junge schöpfte zitternd Atem. »Kann ich … Kann ich den Hund halten? Ich will, dass der Hund bei mir bleibt.«
»Klar doch, Kleiner«, sagte Julian. Er kniete sich hin und reichte Teddy die Leine. »Halt ihn einfach nur, und er wird dich beschützen. Bear hat vor nichts Angst.«
Das schien Teddy den nötigen Mut zu geben. Er richtete sich wankend auf, wobei er die Hundeleine fest umklammert hielt wie eine Rettungsleine, und ging durch die Küche auf eine Tür zu. Nachdem er noch einmal tief Luft geholt hatte, drückte er die Klinke. Die Tür ging auf.
»Das ist der alte Weinkeller«, sagte Sansone.
»Es ist da unten«, flüsterte Teddy und starrte in die Dunkelheit. »Ich will da nicht rein.«
»Es ist okay, Teddy. Du kannst hier warten«, sagte Sansone. Er sah kurz zu Maura und ging dann voraus die Stufen hinunter.
Mit jedem Schritt, den sie hinabstiegen, schien die Luft schwerer und feuchter zu werden. Nackte Glühbirnen hingen an der Decke und warfen ihr gelbliches Licht auf Reihen von leeren Weinregalen, in denen einst wohl Tausende von Flaschen gelagert hatten, zweifellos die besten französischen Jahrgänge für die Tafel eines Eisenbahnbarons und seiner Gäste. Der Wein war längst ausgetrunken, und die Regale standen leer und kahl, eine stumme Erinnerung an ein goldenes Zeitalter der Extravaganz.
Sie kamen zu einer
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