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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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drüben am Wasser. Genau richtig, um den Himmel abzusuchen.«
    »Wonach suchst du denn?«
    »Nach einem Kometen.«
    »Und hast du ihn gesehen?«
    »Nein, ich meine einen neuen Kometen. Einen, von dem noch nie berichtet wurde. Es gibt da einen Typen namens Don Machholz, der hat schon elf Stück entdeckt, und er ist auch nur ein Amateur wie ich. Wenn ich einen entdecke, darf ich ihm einen Namen geben. Wie beim Kometen Kohoutek. Oder Halley oder Shoemaker-Levy.«
    »Und wie würdest du deinen nennen?«
    »Komet Neil Yablonski.«
    Sie lachte. »Klingt ja echt scharf.«
    »Ich finde nicht, dass es so übel klingt«, sagte er leise. »Es ist zur Erinnerung an meinen Dad.«
    Sie hörte den Kummer in seiner Stimme und wünschte, sie hätte nicht gelacht. »Doch, ist ’ne prima Idee. Ihn nach deinem Dad zu benennen«, sagte sie. Obwohl Komet Yablonski wirklich bescheuert klang.
    »Ich hab dich neulich nachts gesehen«, sagte er. »Was tust du denn hier draußen?«
    »Ich kann nicht schlafen.« Sie drehte sich um und blickte über das Wasser, stellte sich vor, wie sie Seen durchschwamm, ganze Ozeane. Dunkles Wasser machte ihr keine Angst; es gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein. »Ich kann fast nie schlafen. Seit …«
    »Hast du auch Albträume?«, fragte er.
    »Ich kann einfach nicht schlafen. Das kommt daher, weil mein Gehirn so verkorkst ist.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich hab da so eine Narbe am Kopf, wo die Ärzte meinen Schädel aufgesägt haben. Sie haben Teile von der Kugel rausoperiert, und dabei haben sie da drin irgendwas kaputt gemacht. Und deshalb kann ich nicht schlafen.«
    »Menschen müssen schlafen, sonst sterben sie. Wie kannst du ohne Schlaf auskommen?«
    »Ich schlafe einfach nicht so viel wie alle anderen. Bloß ein paar Stunden, das ist alles.« Sie sog den Sommerduft des Winds ein. »Und überhaupt mag ich die Nacht. Ich mag es, wie ruhig dann alles ist. Und dann sind Tiere unterwegs, die man tagsüber nie zu Gesicht bekommt, wie Eulen und Skunks. Manchmal gehe ich im Wald spazieren, und dann sehe ich ihre Augen.«
    »Erinnerst du dich an mich, Claire?«
    Die Frage, so leise und zögerlich ausgesprochen, verwirrte sie, und sie drehte sich zu ihm um. »Ich sehe dich jeden Tag im Unterricht, Will.«
    »Nein, ich meine, ob du dich von irgendwo anders an mich erinnerst? Aus der Zeit, bevor wir nach Abendruh gekommen sind?«
    »Vorher habe ich dich nicht gekannt.«
    »Bist du sicher?«
    Sie starrte ihn an. Sah einen großen Kopf mit einem runden Mondgesicht. Das war es, was einem an Will auffiel: Alles an ihm war groß, von seinem Kopf bis hinunter zu den riesigen Füßen. Groß und weich, wie ein Marshmallow. »Wovon redest du?«
    »Als ich hierherkam und dich im Speisesaal gesehen habe, da hatte ich so ein komisches Gefühl, als ob wir uns schon mal begegnet wären.«
    »Ich habe vorher in Ithaca gewohnt. Und du?«
    »In New Hampshire. Bei meiner Tante und meinem Onkel.«
    »Ich war noch nie in New Hampshire.«
    Er trat näher, sodass sein großer Kopf sich vor die aufgehende Mondscheibe schob. »Und vorher habe ich in Maryland gewohnt. Vor zwei Jahren, als meine Mom und mein Dad noch gelebt haben. Sagt dir das irgendwas?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Und wenn, dann hätte ich es vergessen. Ich habe ja schon Probleme, mich an meine eigenen Eltern zu erinnern. An ihre Stimmen. Oder an ihr Lachen, ihren Geruch.«
    »Das ist echt traurig. Dass du dich nicht an sie erinnerst.«
    »Ich habe Fotoalben, aber da schaue ich so gut wie nie rein. Es ist, als ob ich mir Fotos von Fremden angucke.«
    Seine Berührung erschreckte sie, und sie fuhr zusammen. Sie mochte es nicht, wenn die Leute sie anfassten. Das war so, seit sie in dem Londoner Krankenhaus aufgewacht war, wo eine Berührung fast immer eine weitere Spritze bedeutet hatte, wieder jemand, der ihr Schmerzen zufügte, wenn auch mit den besten Absichten. »Abendruh soll ja jetzt unsere Familie sein«, sagte er.
    »Ja.« Sie schnaubte verächtlich. »Das sagt Dr. Welliver immer. Dass wir alle eine große, glückliche Familie sind.«
    »Es ist doch schön, daran zu glauben, findest du nicht? Dass wir alle aufeinander achtgeben?«
    »Klar doch. Und ich glaube auch an den Weihnachtsmann. Die Menschen geben nicht aufeinander acht. Sie denken nur an sich selbst.«
    Ein Lichtstrahl blitzte in den Bäumen auf. Sie wirbelte herum, entdeckte das herannahende Auto und hechtete sofort auf das nächste Gebüsch zu. Will tat es ihr gleich, doch mit seinen riesigen

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