Abendruh: Thriller (German Edition)
Kaffeekanne und das Tablett mit Croissants und einer Auswahl von Marmeladen. »Bedienen Sie sich.«
Als Maura neben Direktor Baum Platz nahm, stellte ihr Lily eine dampfende Tasse Kaffee hin. Die Croissants sahen verlockend buttrig aus, aber Maura nahm nur einen Schluck Kaffee und konzentrierte sich auf Sansone, der ihr am anderen Ende des Tischs gegenübersaß.
»Sie haben Fragen zu unserer Schule und unseren Schülern«, sagte er. »Hier sind die Leute, die sie beantworten können.« Er deutete auf seine um den Tisch versammelten Mitarbeiter. »Bitte sagen Sie uns, was Sie auf dem Herzen haben, Maura.«
Seine ungewohnt förmliche Art verunsicherte sie ebenso sehr wie der Rahmen des Gesprächs – umgeben von Kuriositäten unter Glas, von Menschen, die sie kaum kannte.
Sie antwortete ihm ebenso förmlich: »Ich glaube nicht, dass Abendruh die richtige Schule für Julian ist.«
Direktor Baum zog überrascht eine Braue hoch. »Hat er Ihnen gesagt, dass er unglücklich sei, Dr. Isles?«
»Nein.«
»Glauben Sie, dass er unglücklich ist?«
Sie zögerte. »Nein.«
»Aber welcher Art sind dann Ihre Bedenken?«
»Julian hat mir von seinen Klassenkameraden erzählt. Er sagt, einige von ihnen hätten Familienmitglieder durch Gewaltverbrechen verloren. Trifft das zu?«
Baum nickte. »Auf viele unserer Schüler.«
»Viele? Oder die meisten?«
Er hob beschwichtigend die Schultern. »Die meisten.«
»Dann ist das hier also eine Schule für Opfer.«
»Aber nein, nicht Opfer!«, rief Dr. Welliver. »Wir betrachten sie vielmehr als Überlebende. Sie kommen zu uns mit speziellen Bedürfnissen. Und wir wissen genau, wie wir ihnen helfen können.«
»Sind Sie deswegen hier, Dr. Welliver? Um sich ihrer emotionalen Bedürfnisse anzunehmen?«
Dr. Welliver schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln. »Die meisten Schulen haben Beratungslehrer.«
»Aber keine fest angestellten Therapeuten.«
»Das stimmt.« Die Psychologin sah ihre Kollegen der Reihe nach an. »Wir können mit Stolz behaupten, dass wir in dieser Hinsicht einmalig sind.«
»Einmalig, weil Sie sich auf traumatisierte Kinder spezialisieren.« Sie blickte sich am Tisch um. »Mehr noch, Sie rekrutieren sie.«
»Maura«, meldete sich Sansone zu Wort, »die Jugendämter im ganzen Land schicken Kinder zu uns, weil wir bieten, was andere Schulen nicht bieten können. Wir vermitteln ihnen Sicherheit. Ein Bewusstsein für Ordnung.«
»Und eine Bestimmung im Leben? Ist es nicht das, was Sie ihnen eigentlich einimpfen wollen?« Sie ließ den Blick über die sechs Gesichter schweifen, die sie beobachteten. »Sie sind alle Mitglieder des Mephisto-Clubs, nicht wahr?«
»Wollen wir nicht beim Thema bleiben?«, schlug Dr. Welliver vor. »Und uns auf das konzentrieren, was wir hier in Abendruh tun.«
»Ich spreche von Abendruh. Ich spreche davon, dass Sie diese Schule benutzen, um Soldaten für Ihre paranoide Mission zu rekrutieren.«
»Paranoid?« Dr. Welliver lachte verblüfft auf. »Das ist eine Diagnose, die ich wohl kaum bei einem der hier Anwesenden stellen würde.«
»Der Mephisto-Club glaubt, dass das Böse eine Realität ist. Sie sind davon überzeugt, dass die Menschheit selbst angegriffen wird und dass es Ihre Aufgabe ist, sie zu verteidigen.«
»Sie glauben, das ist es, was wir hier tun? Dämonenjäger ausbilden?« Welliver schüttelte amüsiert den Kopf. »Glauben Sie mir, an unserer Rolle hier ist nichts Übernatürliches. Wir helfen Kindern, über Gewalterfahrungen und Tragödien hinwegzukommen. Wir geben ihnen eine Struktur, Sicherheit und eine exzellente Ausbildung. Wir bereiten sie auf das Hochschulstudium vor oder was auch immer ihre Pläne sein mögen. Sie haben gestern Professor Pasquantonios Klasse besucht. Sie haben gesehen, wie engagiert die Schüler sind, selbst in einem Fach wie Botanik.«
»Er hat ihnen Giftpflanzen gezeigt.«
»Und genau deshalb waren sie so interessiert«, warf Pasquantonio ein.
»Weil das eigentliche Thema Mord war? Welche Pflanzen man zum Töten verwenden kann?«
»Das ist Ihre Interpretation. Andere würden von einer Unterrichtseinheit zum Thema Sicherheit sprechen. Darüber, wie man erkennen und vermeiden kann, was einem schadet.«
»Was unterrichten Sie sonst noch hier? Ballistik? Die Analyse von Blutspritzern?«
Pasquantonio zuckte mit den Achseln. »Beides wäre im Physikunterricht durchaus nicht fehl am Platz. Was stört Sie daran?«
»Was mich stört, ist, dass Sie diese Kinder benutzen, um Ihre eigenen
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