Abendruh: Thriller (German Edition)
schon Alkohol – das hatte sie bei ihm noch nie erlebt. Andererseits hatte Frank Rizzoli in letzter Zeit so manches getan, was sie ihm nie zugetraut hätte.
Zum Beispiel seine Frau verlassen.
Sie rutschte auf die Bank gegenüber und nieste, als sie in die staubigen Samtpolster einsank. »Wieso treffen wir uns eigentlich hier, Dad?«
»Es ist ruhig. Hier kann man ungestört reden.«
» Hier treibst du dich rum?«
»In letzter Zeit ja. Willst du was trinken?«
»Nein.« Sie sah das Glas an, das vor ihm stand. »Was soll das denn?«
»Das ist Whiskey.«
»Nein, ich meine, dass du schon vor fünf trinkst.«
»Wer hat diese bescheuerte Regel überhaupt aufgestellt? Was ist denn so besonders an fünf Uhr? Außerdem – du kennst doch bestimmt das Lied: ›It’s always five o’clock somewhere‹. Kluger Mann, dieser Jimmy Buffett.«
»Solltest du nicht in der Arbeit sein?«
»Hab mich krankgemeldet. Kannst mich ja verpfeifen, wenn du magst.« Er nahm einen kleinen Schluck Whiskey, der ihm aber nicht zu schmecken schien, und stellte das Glas gleich wieder hin. »Du redest in letzter Zeit kaum mit mir, Jane. Das tut weh.«
»Ich weiß ja gar nicht mehr, wer du bist.«
»Ich bin dein Vater. Daran hat sich nichts geändert.«
»Schon, aber du bist wie ausgewechselt. Du tust Dinge, die mein Dad – mein alter Dad – niemals getan hätte.«
Er seufzte. »Es ist der Wahnsinn.«
»Finde ich auch.«
»Nein, ich meine das ernst. Der Wahnsinn der Lust. Diese beschissenen Hormone.«
»Mein alter Dad hätte dieses Wort nicht benutzt.«
»Dein alter Dad ist jetzt wesentlich klüger.«
»Wirklich?« Sie lehnte sich zurück, und der Staub, der von den Samtpolstern aufflog, kitzelte sie im Hals. »Willst du deswegen den Kontakt mit mir wieder aufnehmen?«
»Ich habe den Kontakt nie abgebrochen. Das warst du .«
»Es ist schwer, mit dir in Kontakt zu bleiben, seit du mit einer anderen Frau zusammengezogen bist. Es sind ganze Wochen vergangen, wo du es nicht für nötig gehalten hast, auch nur ein Mal anzurufen. Bei keinem von uns.«
»Ich hab mich nicht getraut. Du warst so sauer auf mich. Und du hast dich auf die Seite deiner Mutter geschlagen.«
»Kannst du es mir verdenken?«
»Du hast zwei Elternteile, Jane.«
»Und ein Elternteil hat die Familie verlassen. Hat Mom das Herz gebrochen und ist mit so einer Tussi durchgebrannt.«
»Deine Mutter macht mir nicht gerade einen todunglücklichen Eindruck.«
»Weißt du, wie viele Monate sie gebraucht hat, um so weit zu kommen? Wie viele Nächte sie sich die Augen aus dem Kopf geheult hat? Während du mit deiner Dingsda um die Häuser gezogen bist, hat Mom versucht, irgendwie allein über die Runden zu kommen. Und sie hat es geschafft. Das muss man ihr wirklich lassen – sie ist auf den Füßen gelandet und kommt gut zurecht. Hervorragend sogar.«
Diese Worte schienen ihn so hart zu treffen, als hätte sie ihm einen Faustschlag versetzt. Selbst im Schummerlicht dieser Cocktailbar konnte sie sehen, wie seine Züge entgleisten, wie seine Schultern nach vorn sackten. Er ließ den Kopf in die Hände sinken, und sie glaubte ein Schluchzen zu hören.
»Dad? Dad!«
»Du musst das verhindern. Sie darf diesen Mann nicht heiraten, das darf sie nicht!«
»Dad, ich …« Jane sah auf das Handy an ihrem Gürtel, als es zu vibrieren begann. Ein rascher Blick verriet ihr, dass der Anruf aus Maine kam – eine unbekannte Nummer. Sie ließ ihn auf die Mailbox gehen und widmete sich wieder ihrem Vater. »Dad, was ist denn los?«
»Es war ein Fehler. Wenn ich doch nur die Uhr zurückdrehen könnte …«
»Ich dachte, du bist mit deiner Dingsda verlobt.«
Er holte tief Luft. »Sandie hat Schluss gemacht. Und sie hat mich rausgeschmissen.«
Jane sagte kein Wort. Einen Moment lang waren die einzigen Geräusche das Klirren der Eiswürfel und das Rasseln des Cocktailshakers an der Bar.
Mit gesenktem Kopf murmelte er in seinen Bart: »Ich wohne jetzt in einem billigen Hotel hier um die Ecke. Deswegen habe ich dich gefragt, ob wir uns hier treffen können, weil das jetzt mein Stammlokal ist.« Er lachte ungläubig auf. »Die verdammte Arabian Nights Cocktailbar!«
»Was ist denn da passiert zwischen euch?«
Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Das Leben. Langeweile. Ich weiß es nicht. Sie hat gesagt, ich könnte nicht mit ihr Schritt halten. Ich würde mich benehmen wie ein alter Sack, der jeden Abend sein Essen auf dem Tisch haben will; sie wär doch nicht mein
Weitere Kostenlose Bücher