Abenteuer des Werner Holt
Werkstatt.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Dann sah er. Was er sah, war so über alle Maßen grauenhaft, daß es sich in seinem Hirn erst wie aus Mosaiksteinchen zu einem vollständigen Bild zusammenfügen mußte. Aber dann begriff er. Alles um ihn begann sich zu drehen, vor seinen Augen wurde es rot und dann schwarz. Er hielt sich am Türpfosten fest. Er wollte fliehen, aber die Glieder versagten und begannen haltlos zu zittern.
Er sah: Eine Kreissäge. Auf dem mit Sägespänen bestreuten, blutgetränkten Boden lagen russische Uniformstücke verstreut, und dazwischen ein paar über den Knien abgesägte Beine, eine Hand, ein Stück Schenkel. Auf dem Tisch der Kreissäge lag der nackte, armlose Oberkörper eines Menschen. In die Brust war ein großer Sowjetstern geschnitten. Aus dem Leib hatte das runde Sägeblatt die Gedärme herausgezerrt, und Eingeweide, Fleischfetzen und Kot erfüllten den Raum mit einem unerträglichen Gestank.
Jemand polterte durch die Tür und prallte zurück. Es war Wolzow. Auch er wurde aschfahl. Er zog die Schultern nach vorn, seinKopf kippte zur Seite. Dann packte er Holt am Arm und zog ihn ins Freie.
Holt wankte ein paar Schritte in den Abend hinaus. Er spürte, wie ihm der Mageninhalt hochkam. Er erbrach sich. Wolzow sagte neben ihm: »Immer raus damit … Jetzt geht’s schon wieder besser!« Dann stieß er Holt mit der Faust in den Rücken: »Los, weg hier!«
Sie gingen die Straße zurück und trafen Vetter mit den anderen. »Zwei Gehöfte sind ganz ordentlich«, sagte Vetter, »aber keine Sau im Stall, nicht mal ’n Karnickel!« – »Halt’s Maul!« sagte Wolzow.
Er ging zu Böhm. Böhm fragte: »Wo?« Wolzow deutete mit der Hand ins Dorf. Böhm hob die Schultern und schüttelte den Kopf, aber da rief Wolzow: »Wir haben auch Nerven, gehn Sie doch hin und sehen Sie sich an, was für eine Sauerei die SS dort angerichtet hat!« Rischka zog Wolzow zur Seite, nestelte seine Feldflasche los, und Wolzow nahm sie und trank. Holt sah das alles teilnahmslos mit an. Wolzow reichte ihm die Feldflasche. »Trink! Los doch, es ist Schnaps, das hilft, nimm noch einen Schluck, du auch, Sepp!« Holt trank und gab die Flasche weiter.
Vetter führte den Zug zu den beiden Gehöften. Bald wurde es dunkel. Böhm stellte den Kommandotrupp an den Talweg. Holt und Gomulka wachten nach Osten hin, bei dem einsamen, ausgebrannten Gehöft.
Wolzow durchstreifte das Dorf. Gegen Mitternacht kontrollierte Böhm die Posten, mürrisch und mißgelaunt. Als er gegangen war, kam Wolzow wieder und rauchte bei Holt und Gomulka eine Zigarette. Er erzählte: »Ich hab ihm noch mal vorgeschlagen, die beiden Züge ins Dorf zu holen. Ich hab ihm gleich vorhin gesagt, wir müssen die Mühle abbrennen, aber er will nicht. Wenn sie das Dorf einnehmen und die Bescherung in der Mühle sehen, dann lassen sie ihre Wut an uns aus. Ich versteh die SS nicht! Wenn man so was macht, läßt man’s doch hinterher nicht offen rumliegen.« Er trat die Zigarette aus. »Ich komm wieder.« Er tauchte in der Nacht unter.
Gomulka hatte den Abend kein Wort gesprochen. Seine Bewegungen waren fahrig. Jetzt, da sie in der Dunkelheit beieinanderstanden, sagte er plötzlich: »Ich hab es gewußt. Aber ich hab es nicht geglaubt.« Erst nach Minuten fuhr er fort: »Jetzt glaub ich
alles
.«
Holt nahm den Karabiner von der Schulter und legte ihn auf die Patronentasche. Auge um Auge, Zahn um Zahn, dachte er. »Gnade Gott uns allen, wenn wir nicht siegen!«
»Siegen!« sagte Gomulka verächtlich. »Das gibt es nicht. Das darf nicht sein, daß so was siegt!«
Holt antwortete nicht. Eine halbe Stunde verging. Es war still, nur der Bach rauschte.
»Ich hab, seit ich in die Schule gehe, nicht mehr an Gott geglaubt«, sprach Gomulka wieder, und seine Rede war verworren. »Ich kann auch nie mehr an Gott glauben … Aber daß es den Teufel gibt, das glaub ich.« Er sprach mit entstellter Stimme: »Seit ich das heute gesehen hab … und wenn ich nun denk, wie es werden wird mit Deutschland, dann hör ich meine Mutter, wie sie mir früher einmal aus der Bibel vorgelesen hat. Und in den Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden … und werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen … Und ich seh das Kriegsende … das fahle Pferd, von dem es heißt: Und der darauf saß, deß Name hieß Tod. Und die Hölle folgte ihm nach …«
Holt schauderte. Nun wußte er das Gefühl zu
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