Abenteuer des Werner Holt
sich ununterbrochen Gerüchte. »Die zweite Kompanie geht an die Front, noch diese Nacht!« Vetter schrie: »Wir solln weiterausgebildet werden! Und eh’s rausgeht, solln wir alle in einen Puff!« Noch eine Woche verstrich.
Der Ausbildungszug fuhr mit einem Lastwagen zum gefechtsmäßigen Nachtscharfschießen auf den benachbarten Truppenübungsplatz. Die Rekruten auf dem LKW sangen. Dann standen sie lange in der Nacht und warteten. Wenig entfernt krachte Gewehr- und Maschinengewehrfeuer, Leuchtkugeln erhellten immer wieder die Dunkelheit. Holt stand mit gespreizten Beinen über seinem MG. Vetter hatte sich ein paar Gurte um den Hals gehängt und schleppte Munitionskästen, den Karabiner auf dem Rücken. Sie nahmen die Helme ab und rauchten eine Zigarette. Wolzow gab die letzten Direktiven: »Leute, wenn ihr vorgeht, lauft den MGs nicht ins Schußfeld! Werner, wir geben uns gegenseitig Feuerschutz beim Stellungswechsel.« Er sog an der Zigarette. »Bin gespannt, ob sie uns für frontreif erklären.«
»Abwarten«, sagte Holt.
Gomulka fragte: »Ob wir bald eingesetzt werden?« – »Der kann’s gar nicht mehr erwarten!« spottete jemand. Holt dachte: Ängstlich hat Sepps Frage wirklich nicht geklungen, eher erwartungsvoll! »Hast recht, Sepp. Das Warten, diese Ungewißheit, das ist vielleicht das übelste.« – »Vielleicht«, sagte Gomulka. Revetcki rief: »Fertigmachen!« Sie traten die Zigaretten aus und setzten die Helme auf. »Antreten!« Revetcki gab sich freundlich und sagte zu den Rekruten »Musketiere« oder »Füsiliere«. Er verkündete: »Ruhig Blut! Euer Korporal steht euch bei in der Stunde der Not!« Dann befahl er: »Gewehre laden und sichern!« Holt nahm das MG auf. »Schützenreihe«, rief Revetcki, »mitkommen!« Sie marschierten in Richtung der fingierten Hauptkampflinie. »Schützenkette links! Im Laufschritt … marsch, marsch!« Die Gruppe schwärmte aus. »Vorwärts, Arkebusiere!« rief Revetcki. Holt lief am rechten Flügel durch den tiefen Schnee. »Stellung!« Vetter warf sich neben Holt zu Boden. Schloß zurück, Deckel hoch, Gurt einlegen, Deckel schließen, entsichern, Kolben fest in die Schulter einsetzen … – »Visier vierhundert! Feuer frei!« Eine Leuchtkugel stieg hoch, blendend weißes Licht lag über dembeschneiten Acker. Wolzows MG am linken Flügel schoß schon. Holt sah vor sich die Mannscheiben durchs Gelände ziehn und schoß in kurzen Feuerstößen. Vielleicht übe ich es zum letztenmal, dachte er.
Revetcki war zufrieden. Die Kritik des Leutnants fiel dürftig aus. Dann brachte sie der Lastwagen zurück in die Kaserne. Sie sangen während der Fahrt: »Schlägt uns die Todesstunde, ruft uns das Schicksal ab, dann wird uns der Panzer zum ehernen Grab …«
Nach zwei Uhr langten sie auf den Stuben an. Wolzow brachte aus dem Waschraum Neuigkeiten: »Auf dem Boden haben sie ein Mittelwellengerät aufgestellt, mit einem Achtzig-Watt-Sender, damit haben sie Verbindung zu den Kampftruppen, die schreien draußen um Hilfe! Die Russen sind über Krakau und Litzmannstadt hinausgestoßen. Bei der vierten Kompanie machen sie die Jagdpanther einsatzbereit, die noch in der Halle stehn, die gehn heut nacht ab, die Funker haben sie aus unserer Kompanie abgestellt …« Revetcki riß die Tür auf: »Wolzow zum Leutnant!« – »Der will doch nicht etwa noch am Sandkasten spielen!« Wolzow zog die Jacke über und ging. Schon nach zehn Minuten riß er die Tür auf und ließ Leutnant Wehnert eintreten. Revetcki folgte. Wer schon in den Betten lag, richtete sich auf.
Holt sah auf Wolzows Gesicht und wußte alles.
Der Himmel steh mir bei!
Der Leutnant sah sich in der Stube um. Dann begann er: »Deutschland, heldischer Gedanke, nationalsozialistische Idee, hab ich euch das alles umsonst erzählt?« Er ging in der Stube auf und ab. »In den Wind geredet? Nein! Das darf nicht sein!« Nun sehr schnell: »Der Russe hat die Grenzen Schlesiens überschritten, jenes Landes, das unsere Vorväter mit heldischem Schwert ans Reich brachten. Er stößt ins Industriegebiet, er stößt gegen Breslau. Gefahr! Die schwerste Stunde bricht an! Die letzte Etappe des Krieges hat begonnen: der Nervenkrieg! Die besseren Nerven werden siegen. Wir werden die besseren Nerven haben.«
Er soll endlich sagen, was er von uns will!
»Der Führer hat in dieser Stunde die Aufstellung einer Panzerjagddivision befohlen. Aus Freiwilligen.«
Aus Freiwilligen? Gott sei Dank!
Gomulka sprang von seinem Bett und fuhr
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