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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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die Fingernägel mit dem Fahrtenmesser und kämmte sich. Als er bei Barnims klingelte, wäre er am liebsten wieder umgekehrt. Man ließ ihn in der Diele warten. Als er Uta sah, vergaß er alles. »Sie kam wie eine Göttin«, dachte er. Das hatte der Cavaradossi gesungen, in der einzigen Oper, die Holt gesehen hatte. »Sieh mal einer an«, sagte sie, und ihr Lächeln zog ihn vollends in ihren Bann. »Ich denke, man ist zum Ernteeinsatz?«
    »Ich bin abgehaun. Jetzt geh ich … lange fort. Vorher wollte ich Sie gern sprechen.«
    »Wie ich Sie kenne, ist es etwas Todernstes. Also kommen Sie.« Er folgte ihr über die Treppe ins Obergeschoß. Dort öffnete sie eine Tür und ließ ihn eintreten. Das Zimmer war voll Sonnenlicht. Den Fußboden bedeckte ein grobgewirkter Teppich. Vor einer Bettcouch stand ein Teetisch, von Polsterhockern umstellt. Und Blumen gab es, überall, am Fenster, an der Balkontür, auf dem Teetisch, Rosen, Nelken, üppige Gehänge von Brunnenkresse, wilde Wicken, die sich an den Gardinen hinab bis auf den Teppich rankten, und eine wuchernde Tradescantia. Auf dem Balkon stand ein Liegestuhl, daneben ein kleiner Tisch mit Rauchutensilien. »Holen Sie sich einen Sessel«, sagte sie und ließ sich schon im Liegestuhl nieder, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Holt trug einen der Hocker hinaus und setzte sich neben sie. Sie hielt ihm wortlos ein Messingkästchen mit Zigaretten hin. Er rauchte.
    »Hat Ihr Besuch noch einen anderen Grund, oder sind Sie nur gekommen, um mich anzustarren?« fragte sie. Ihr Spott machte ihn mutlos. Er brummte etwas von »… ganz allein in der Stadt …« und »… sonst keinen Menschen …« Sie sagte: »Also erzählen Sie! Warum leben Sie nicht bei Ihren Eltern?«
    »Ich wollte nicht länger bei meiner Mutter bleiben. Und mein Vater …«
    »Wollen Sie nicht davon sprechen?«
    »Doch«, sagte er. »Aber nur zu Ihnen. Er arbeitet als Lebensmittelprüfer in einem städtischen Amt. Eigentlich ist er Arzt.«
    Sie blickte interessiert zu ihm hin. »Und welchen Umständen verdankt er diese offensichtliche Degradierung?«
    »Ich weiß das nicht so genau«, sagte Holt langsam, und wie stets bei der Frage nach seinem Vater befiel ihn Unsicherheit und Scham. »Er war lange in den Tropen, dann in Hamburg an der Universität Professor und zugleich am Institut für Tropenkrankheiten. Meine Mutter stammt aus der Industrie, und als er sie geheiratet hatte, ging er nach Leverkusen. Er forschte nach Krankheitserregern oder so. Aber dann sollte er eine andere Arbeit übernehmen, etwas … Kriegswichtiges. Da hat er sich geweigert und mußte gehen. Er fand dann auch nichts anderes. Meine Mutter ließ sich von ihm scheiden, ich glaube, deswegen … Es heißt, er ist politisch unzuverlässig. Er ist wohl furchtbar starrsinnig. Lieber hungert er.«
    »Jedenfalls«, sagte Uta, »scheint Ihr Vater ein Mann von Charakter zu sein.« Diese Worte überraschten Holt so sehr, daß er verwirrt »Ja … aber …« sagte, doch sie unterbrach ihn. »Warum leben Sie nicht bei ihm?«
    »Das Vormundschaftsgericht hat es verboten. Ich will auch nicht. Ich will frei sein! Deswegen bin ich auch von meiner Mutter fort. Es war sowieso kein Zuhause, auch früher nicht. Mein Vater hatte immer nur seine Arbeit im Sinn. Und meine Mutter war viel jünger als er, hatte dauernd Gäste, ging dauernd fort. Ich bin schon mal durchgebrannt, aber die Polizei hat mich zurückgebracht. Im Frühjahr hat Mutter mich endlich fortgelassen. Erst sollte ich zu meinem Onkel nach Hamburg, er ist dort imAufsichtsrat einer großen Tabakfabrik. Doch dann hat mich Mutter hierher in Pension gegeben. Sie schickt jeden Monat Geld, sie hat ja genug, sie hat Vermögen.« Er schwieg, er fragte sich: Wozu erzähl ich ihr das alles?
    »Und nun suchen Sie bei mir gewissermaßen Nestwärme, mütterliche Geborgenheit?«
    »Warum verspotten Sie mich?« sagte er. »Wenn ich Ihnen lästig bin, geh ich. Vielleicht haben Sie einen Menschen, dem Sie sich anvertrauen können, aber …« – »Nicht doch, warum gleich so gekränkt? Sie sind ein merkwürdiger Mensch!« meinte sie. »Nach Peter Wieses Bericht hielt ich Sie für einen Stromer. Ein Gefühlsleben, wie Sie’s da offenbaren, paßt schlecht zu diesem Bilde.«
    »Der Wiese kennt mich ja gar nicht«, sagte Holt verächtlich. Dann erst begriff er, was sie gesagt hatte: Nach Wieses Bericht … So hat sie ihn also ausgefragt! »Daß man die Lehrer ärgert und immer angibt«, fuhr er fort, »das ist

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