Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
von der gleichnamigen Brücke
Tag 62 , Cirauqui – Los Arcos 36,5 km
Früh wie nie war ich heute Morgen auf dem Weg. Bereits um 7 Uhr lag Cirauqui hinter mir. Es war noch schön frisch um diese Zeit, die Sonne sendete gerade ihre ersten Strahlen zu mir herüber und gab mir einen fast kilometerlangen konturlosen Schatten. Wir paar Pilger aus der Herberge hatten uns schnell verteilt und so sah ich
mich schon kurz nach dem Start auf weiter Flur. Der Weg durch das flache Hügelland setzte sich nahtlos zu gestern fort, manchmal lag er wie ein endloser Wurm vor mir, dessen geschlängelte Spur sich am fernen Horizont im Nichts verlor. Nur ein kurzes Stück störte die Autobahn, die in der Nähe des Camino verläuft. Mit Estella wartete die erste erwähnenswerte Stadt. Außer einer fast verfallen Kirche am Stadteingang mit einem jedoch noch heute kunstvoll wirkenden Portal und dem Prunkbau der Stadt, einer Kirche mit einer langen eleganten Treppe hinauf zum Eingang, ist Estella schmucklos, ohne jeden Charme. Früher bedeutende Station am Pilgerweg, sind heute nur noch die Gotteshäuser sehenswert. Kein Ort zum Verweilen.
Das machte ich in Irache ein paar Kilometer weiter, dort wo es den beliebten Weinbrunnen gibt. Weinprobe war aber Fehlanzeige, außer ein paar kümmerlichen Tropfen kam nichts aus der Leitung. So blieb es beim Wasser, was wohl auch besser war. Um diese frühe Zeit schon Wein wäre sicher nicht förderlich für die Kondition gewesen. Stattdessen besuchte ich das Kloster direkt neben dem Weingut und machte anschließend auf einer sonnigen Wiese Pause. Hatte auf den letzten Kilometern vor Irache ein Problem mit meinem linken Knöchel. Bei jedem Schritt meldete sich ein stechender Schmerz. Weiß nicht, warum, umgeknickt bin ich nicht, es war ein reiner Berührungsschmerz, auch vom Auftreten kam es nicht. Die neuen Schuhe? Vielleicht lag es an dem hohen Schaft, war ja vorher immer nur in Halbschuhen unterwegs. Konnte es nicht so richtig bestimmen, hatte eigentlich auch genügend Bewegungsfreiheit. Hoffte nur, dass es nicht schlimmer würde, phasenweise war es richtig unangenehm. Ich ließ mir viel Zeit und genoss es, bei fast 30° C barfuß und mit freiem Oberkörper ausgiebig rumzulümmeln. Es war noch nicht einmal 12 Uhr.
Erst eine gute Stunde später erhob ich mich wieder und setzte mich - sehr langsam - in Bewegung. Es ging etwas besser. Gut ist anders, aber immerhin hielt sich der Schmerz mehr im Hintergrund. Mit zunehmender Dauer gelang es mir, ihn fast völlig zu ignorieren. Bergauf nach Villamayor de Monjardin spürte ich nichts mehr, nur wenn es bergab ging, meldete sich das Stechen gelegentlich wieder. Seltsam! Oder habe ich mir letzte Nacht am Bettgestänge den Knöchel gestoßen? Im Schlaf sollen ja schon die kuriosesten Unfälle passiert sein. Egal, wird schon nichts ernstes sein, Punkt!
Die Etappe in Villamayor zu beenden, dafür war es mir zu früh. Außerdem hatte ich nicht vor, mich von ein paar Schmerzen mürbe machen zu lassen. Ich ging also hinein in den 12 km langen, menschenleeren Abschnitt, der laut Reiseführer viel Weite verspricht. Ohne je dort gewesen zu sein, fühlte ich mich an die Meseta erinnert, die ja noch vor mir liegt. Die Beschreibung deckte sich mit dem, was ich sah. Ich wanderte auf einem breiten Feldweg, der sich durch Getreidefelder wand, soweit das Auge reichte. Gelegentlich war mal ein Weinberg zu erkennen und ein paar verstreut auf den Hügeln liegende Ruinen erinnerten daran, dass in längst vergangenen Zeiten dort mal etwas anderes gewesen sein muss. Diese Landschaft hat ihren ganz eigenen Reiz, keine Frage. Gut vorstellen kann ich mir, dass tagelanges Wandern durch Gegenden wie diese einer Form von Meditation gleichkommt. Bei mir stellte sich diese heute freilich nicht ein. Dafür lief es einfach nicht rund genug, ich musste mich am Gehen halten. Schön war es trotzdem, besonders die umliegenden Berge im Hintergrund sorgten für einen zusätzlichen reizvollen Kontrast. Aber lang wurde es mir! Immer wenn ich dachte, kurz vor Los Arcos zu sein, öffnete sich hinter jedem weiteren Hügel und jeder Kurven wieder eine neue - menschenleere - Szenerie. Jedes Gefühl für Zeit und Raum schien mir verloren gegangen zu sein. Es dauerte noch, bis ich tatsächlich die ersten Häuser des Ortes erspähte.
Eine lange Gasse führte ins Zentrum. Außer Pilgern waren keine Menschen auf der Straße. Die Einheimischen hatten sich bei der Hitze in ihre Häuser
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