Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
japanische Touristengruppe. Zusammen mit der Brücke war ich vollbärtiger Pilger mit breitkrempigem Hut und massivem Pilgerstock das angesagte Fotomotiv der fernöstlichen Meute. Sie baten mich freundlich, auf der Brücke hin und her zu gehen, bis jeder sein Foto geschossen hatte. Da konnte ich nicht Nein sagen, warum auch? Als ein älteres Ehepaar sich mit mir zusammen ablichten ließ, begann Teil 2 des Fotoshootings. Jetzt wollte jeder zusammen mit mir aufs Bild. Für diese Menschen war ich scheinbar eine echte Attraktion. Erst nach rund 10 Minuten waren alle Fotos im Kasten. Das ältere Ehepaar ließ sich von mir noch meine Adresse aufschreiben, will mir einen Abzug schicken, wenn es zurück in Japan ist. Da bin ich mal gespannt. Als ich an dem Bus der Gruppe vorbeiging, winkten mir die Menschen freudig hinterher und strahlten bis über beide Ohren. Ich glaube, die hatte ich soeben ein kleines bisschen glücklich machen können. Und in 2 oder 3 Wochen wird in Japan beim Betrachten von Urlaubsbildern in einigen Familien von einem hoch aufgeschossenen wildwüchsigen Deutschen gesprochen, so wie ich sicher in Zukunft noch häufig von einer lustigen Begebenheit mit vielen kleinen Japanern sprechen werde.
Nach dieser Begegnung war es wieder ruhig um mich. Durch unspektakuläres flaches Hügelland setzte ich meinen Weg fort. Der Regen der vergangenen Abende sorgte an manchen Stellen für tiefes matschiges Geläuf. Erste Weinberge säumten den Weg und bald tauchte weithin sichtbar Cirauqui vor mir auf. Umgeben von grünen Hängen gruppieren sich die Häuser des Ortes malerisch um die Kuppe eines kleinen Berges. Die Albergue liegt fast auf dem höchsten Punkt, durch die steilen schmalen Gassen hinauf bewältigte ich die letzten Schritte des Tages.
Die privat geführte Herberge wirkt sehr ordentlich, ist mit 28 Betten in mehreren Räumen nicht zu groß und hat einen breiten überdachten Balkon, prima zum Relaxen. Es waren schon eine ganze Reihe Pilger da, als ich kam. Größtenteils waren sie mit der üblichen Nachbereitung beschäftigt. Von denen, die ich sah, kannte ich keine. In meinem 10-Bett-Zimmer war außer mir nur ein älteres deutsches Ehepaar, aus dem Schwabenland, wie ich vermutete. Die Dame war ständig auf der Suche nach irgendwas. Ein wenig nervös die Gute, befand ich. Der Mann ging gar nicht groß auf sie ein, wirkte eher genervt. Er kennt sie, wahrscheinlich ist sie immer so. Vielleicht hätte er ihr mal sagen sollen, dass sie nicht mehr zuhause, sondern auf dem Camino ist, sich etwas entspannt. Wenn es nur so einfach wäre, eingebrannte
Verha ltensweisen mal eben abzulegen. Nun, wahrscheinlich sind sie noch am Anfang ihres Weges… .
Viele Pilger kamen nicht mehr, es blieb beschaulich ruhig im Ort und der Albergue. Einige lagen geplättet im Bett, andere genossen die letzten Sonnenstrahlen auf dem Dorfplatz und wieder andere kümmerten sich um ihre „Buchführung“, so wie ich zum Beispiel. Geredet wurde kaum, jeder verarbeitete den Tag für sich allein.
Teil der Herberge ist ein uriger Gewölbekeller, in dem auch das Abendessen gereicht wurde. Ich bildete mit 5 anderen Personen einen deutschen Tisch, u. a. dem Ehepaar aus „meinem“ Zimmer. Sie hatten heute gar erst ihren ersten Tag auf dem Weg, wie ich erfuhr. Das erklärt, warum die Frau noch so hibbelig ist. Sie kommt übrigens aus Baden, da habe ich also fast richtig gelegen. Der Mann ist ursprünglich aus dem Oldenburger Raum, aber ihn hatte ich ja auch noch gar nicht so wirklich sprechen gehört. Ich war bei der Unterhaltung an unserem Tisch mehr Zuhörer, lauschte dafür gespannt den Themen der anderen. Nach 2 Monaten auf dem Weg lebe ich in meiner eigenen kleinen Welt, das habe ich beim Abendessen mal wieder deutlich festgestellt.
Das Essen war übrigens prima und reichlich, dazu gab es Tischwein aus der Region bis zum Abwinken. Entsprechend gesellig verlief der Rest des Abends. Schön, heute mal wieder in einer Pilgerherberge zu sein, noch dazu, wo sie nicht so voll ist. Werde mir meine Stationen weiterhin so auswählen, dass sie zwischen den in den Reiseführern beschriebenen Etappenzielen liegen, das scheint eine gute Taktik zu sein. In der Herberge von Puente la Reina ist es sicher ungleich voller.
Kann abschließend festhalten: Der Ruhetag hat mir nicht geschadet – und, mindestens genauso wichtig, die neuen Schuhe scheinen keine Probleme zu machen. Alles ist gut!
Blick auf Puente la Reina
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