Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
leuchtendes Beispiel geliefert. Der Lernprozess wird weitergehen, wenn ich Santiago wieder verlassen habe, genau genommen hat er gerade erst begonnen. Es wird nicht von heute auf morgen funktionieren, alle Schwächen zu beseitigen, wahrscheinlich wird es mir sogar nie gelingen, dafür bin ich eben „nur“ Mensch. Aber ich werde daran arbeiten und mich immer neu hinterfragen. Daher bin ich guter Dinge, auf Dauer den für mich richtigen Weg zu finden, auch wenn ich dafür den einen oder anderen Umweg in Kauf nehmen muss. Und sollte ich mal in einer Sackgasse landen, ist selbst das nicht schlimm, wenn ich mir den Weg zurück freihalte.
Ich brauche nicht über mein bisheriges Leben lamentieren, das ist wirklich sehr ordentlich verlaufen, es ging mir immer gut, besser als vielen anderen Menschen. Abgesehen von normalen Schwankungen war ich zu jeder Zeit mit dem Ist-Zustand zufrieden, zum Schluss vielleicht etwas weniger. Der Weg hat mir ein Stück weit die Augen geöffnet. Heute wäre ich nicht mehr mit allem Gewesenen so glücklich, weiß, dass ich manche Dinge hätte anders machen können oder sollen. Es muss mich heute nicht mehr stören, weil es nach meinem damaligen Empfinden in Ordnung war und ich es heute nicht mehr beeinflussen kann. Aber ich habe die Möglichkeit, für die Zukunft daraus meine Schlüsse zu ziehen, anders zu handeln. Und das werde ich tun, um auch weiter mit mir im Reinen sein zu können. Kann ich den Camino deshalb jetzt als Wendepunkt in meinem Leben bezeichnen? Nein, das ginge wohl etwas zu weit! Es gibt eine Menge an Eigenschaften, die hatte ich und werde sie behalten, weil ich von deren Richtigkeit überzeugt bin. Der Camino stellt also eher eine Kurskorrektur dar. Eine die wahrscheinlich kräftig genug ist, dass sie sichtbar sein wird. Und eine, die weitere Kurskorrekturen nach sich ziehen könnte und somit den Camino doch noch zu einem Wendepunkt werden lässt – nachträglich sozusagen. Ich weiß es nicht, vieles wird erst einmal nachwirken müssen, bevor es etwas verursacht. Ich warte es ab, ganz ohne Eile. Zeit spielt dabei keine Rolle, ebenso wenig Ziele. Wir Menschen setzen uns viel zu viele Ziele, genau genommen besteht unser Leben heute fast nur noch aus einer Aneinanderreihung von Zielen. Und was kommt danach? Verlieren wir uns auf diese Art und Weise nicht selbst immer mehr aus den Augen? Vielleicht ist Santiago für lange Zeit sogar mein letztes klar definiertes Ziel gewesen. Ich denke, meine Pilgerreise hat wirklich gerade erst angefangen. Noch gar nicht so lange her, dass mir dieser Gedanke erstmals kam. Vermutlich werden nicht alle Menschen (unter Umständen gar die wenigsten) in meinem direkten Umfeld nachvollziehen können, was ich tun oder nicht tun werde. Es wird auch nicht immer schlüssig erscheinen, besonders wenn ich selbst nicht weiß, was als nächstes kommt. Aber von äußeren Einflüssen kann, will und werde ich mich nicht leiten lassen.
Kurz: Mein Plan ist, dass ich keinen konkreten Plan habe. Und genau mit diesem Nichtplan starte ich auf meinen Weg nach dem Weg, werde die Augen offen halten, schauen, was sich ergibt und das tun, was nach meiner Ansicht das Richtige für mich ist. Das kann und wird funktionieren, weil jede Aktion (und sei sie noch so klein) weitere Aktionen nach sich zieht, die irgendwann im Idealfall einen zusammenhängenden und erkennbaren Handlungsstrang ergeben. Nicht sehr zielstrebig, schon gar nicht ehrgeizig, aber spannend. Der Vorteil ist, ich klammere mich an nichts Vordefiniertem fest, behalte mir dafür ein hohes Maß an Freiheit und bleibe flexibel. Dass es funktioniert, heißt nicht, dass immer etwas Ideales dabei herauskommt, aber ich mache mich nicht mehr von Ergebnissen abhängig. Ich habe Vertrauen... . Das Ziel bleibt der Weg - Camino forever!
Ich freue mich, selbst in der Hand zu haben, was mit und in meinem weiteren Leben passiert, und darüber, dass persönliches Wohlergehen nicht an materielle Werte gebunden ist. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, aber durch den langen Weg ist sie nun sehr fest und nachhaltig in meinem Bewusstsein verankert - und wird sicher feste Wurzeln schlagen. Dies soll mir vorerst reichen! Ich fühle mich bereit für Santiago... .
Es ist schwer, in wenigen Worten zusammenzufassen, was einen den ganzen Nachmittag beschäftigt. Wahrscheinlich würde ich es jetzt schon wieder ganz anders formulieren, aber ich lasse es so stehen, weil es im Kern meine Gedanken wiedergibt, wenn auch
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