Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
sehr gestrafft. Und dabei will ich es für den Moment bewenden lassen.
Mein Bewegungsradius blieb auch am späten Nachmittag sehr klein. Erst nach der Beendigung meines vorweggenommenen Resümees spazierte ich noch ein bisschen durch die Natur. Der Kopf ist seither frei, alles verarbeitet! Genau richtig, um einen herrlichen galizischen Sommerabend zu genießen. Zwei luxemburgische Pilger konnten das offenbar nicht. Sie meckerten lieber. Über die vielen Leute, über Santiago (ist nix Besonderes!), schlechtes Essen und einiges mehr. Zum 5. Mal gehen sie den Camino heuer. Ich frage mich warum, wenn doch alles so schlecht ist? In Finisterre waren sie noch nicht einmal, sie hatten immer die Schnauze voll, wenn sie in Santiago waren. Die beiden sind scheinbar bis heute vergeblich auf der Suche nach einer positiven Einstellung. Oder aber sie brauchen ihre Miesepetrigkeit zum Glücklich sein, ist ja auch möglich.
Gut, dass die beiden zum Abendessen von sich aus einen Tisch in der Bar bevorzugten. Ich blieb lieber draußen sitzen. Auf diese Gesellschaft mochte ich gerne verzichten, blieb danach den Rest des Abends allein. Neben mir am Tisch saßen 3 französische Frauen mit einer offenkundigen Abneigung gegen Männer, zumindest deutete ihr Verhalten darauf hin. Stundenlang diskutierten sie, leidenschaftlich und kontrovers, sie vergaßen sogar fast ihr Essen, was lange unberührt vor ihnen stand. Verstehen konnte ich nichts, trotzdem bereitete es mir ein großes innerliches Vergnügen, stiller Beobachter ihrer Debatte zu sein.
In der Albergue wird fast ausschließlich südländisch gesprochen, bekannte Gesichter finde ich keine. Die Anzahl der spanischen Pilgergruppen nimmt immer weiter zu, es geht auf die letzten 100 km. Diese Distanz reicht, um in den Besitz einer Pilgerurkunde zu kommen.
Der eine Schlafraum der schmucklosen Albergue mit 35 Betten ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige Pilger, die erst nach 19 Uhr ankamen, wurden tatsächlich noch in den nächsten Ort geschickt, ohne Gnade. Immerhin sind es von hier noch 9 km bis Portomarin, nicht gerade ein Katzensprung. Dank meiner frühen Ankunft habe ich dagegen sogar einen Fensterplatz. Meine Lunge wird sich freuen… .
Tag 80, Ferreiros – San Xiao 37 km
Scheinbar mögen es die meisten Pilger stinkend! Als ich die Nacht aus dem Bett musste, war das Fenster neben meinem Bett zu. Bevor ich mich wieder hinlegte, habe ich es natürlich geöffnet. Am Morgen war es erneut komplett verschlossen. Haben die alle eine Sauerstoffallergie??
Schön, dass die kleine Taverne früh öffnete, so kam ich in den Genuss eines Frühstücks ohne mich umgebende Körperausdünstungen. Locker-flockig begab ich mich noch vor Sonnenaufgang auf die Piste. Und die verwöhnte mich gleich vom Feinsten! Feine Nebelschwaden, die Hügel und Bäume sanft umhüllend, versetzten mich in eine Märchenwelt voller Zauber und Schönheit. Die Landschaft verschwamm. Kleine Dörfer und erste zarte Sonnenstrahlen verstärkten meinen Eindruck, mich in einer unwirklichen Welt zu bewegen. Es war überwältigend! Ich blieb ständig stehen, möglichst lange wollte ich gefangen bleiben in diesem von der Natur inszenierten Schauspiel. Auf einigen Anhöhen schaute ich bereits in blauen Himmel während die Dunstschleier nach unten hin immer weniger Licht durchließen. Fast 9 km waren es bis Portomarin, ich durfte also richtig lange einsaugen, was der Weg mir an Genüssen bot. Am Stausee vor der Stadt endete die Show standesgemäß. Als ich ihn erreichte, war der Nebel noch dicht, doch durch die stärker werdende Sonneneinstrahlung lösten sich die Schleier in Windeseile auf und gaben schon Minuten später einen fast ungetrübten Blick auf den erhöht über dem See liegenden Ort frei. Welch ein Auftakt!
In einem Café mit Seeblick versüßte ich mir den mit Frühstück Nr. 2. Dabei lernte ich einen deutschen Pilger kennen, der auf seinem Weg fast eine Woche durch eine hartnäckige Magen-Darm-Infektion aufgehalten wurde. Dadurch geschwächt, hat es natürlich gedauert, bis er wieder in Schwung gekommen ist. Einen Abbruch hat er trotzdem zu keiner Zeit erwogen. Inzwischen ist er wieder voll hergestellt.
In Portomarin gab es außer einer festungsähnlichen Kirche nicht viel zu sehen. Bei nun strahlendem Sommerwetter setzte ich meinen Weg durch einen schönen Laubwald fort, ehe eine riesige Geflügelfarm die Idylle beendete. Ich passierte einen Bagger, in deren Schaufel
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