Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
über den Köpfen der Pilger durch das gesamte Querschiff geschwenkt wird, mussten wir leider verzichten. Irgendetwas ist kaputt und muss repariert werden. Es soll Leute geben, die nur für dieses Spektakel in die Messe gehen. Die werden vielleicht etwas enttäuscht gewesen sein.
Nach dem Gottesdienst reihte ich mich ein in die Pilgerschlange, um die Jakobusstatue zu umarmen. Dieses Ritual durfte hier einfach nicht fehlen. Und damit war es vorbei! Ich bin kein Jakobspilger mehr! Na ja, so ganz richtig ist das nicht. Wer einmal Pilger war, der wird Zeit seines Lebens ein Pilger bleiben, heißt es. Ich kann das bedenkenlos unterschreiben. Ganz sicher werde ich wieder losgehen, andere Wege beschreiten, so wie z. B. Gerard oder Melinda. Ob es immer Jakobswege sein müssen, will ich mal dahingestellt lassen, eher verneinen. Es ist auch gar nicht wirklich von entscheidender Bedeutung.
Am Nachmittag haben Ela und ich uns getrennt, um auf eigene Faust die Stadt zu erkunden. Ich verweilte zunächst am Praza do Obradoiro. Ich mag es, die gerade ankommenden Pilger zu beobachten, wie sie sich vor Freude in den Armen liegen oder still den Triumph ihrer Ankunft genießen. Manche haben geweint. Es wird wohl
nur wenige Orte geben, die tagtäglich Schauplatz ähnlicher emotionaler Ausbrüche sind. Ich fühlte mich sonderbar. Vor 24 Stunden selbst erst angekommen, betrachtete ich nun schon „von außen“ das Geschehen. Es war, als gehörte ich nicht mehr dazu.
Für den Rest des Tages war ich als Tourist in Santiago unterwegs, bummelte durch die vielen Altstadtgassen, betrachtete unzählige Sehenswürdigkeiten, kaufte ein paar Souvenirs und ließ in diversen Cafés das rege Treiben auf mich wirken. Egal, ob man nun als Pilger oder Tourist hier ist, Santiago ist schlicht eine überragende Stadt. Jede ausführlichere Beschreibung ist an dieser Stelle überflüssig, wofür gibt es Reiseführer?
Das Wetter meinte es mit den heute ankommenden Pilgern leider nicht so gut. Eine graue Wolkendecke und gelegentlicher Regen trübten zumindest optisch die Freude ein wenig. Aber wer wollte sich heute schon die Laune vom Wetter verderben lassen? Jos habe ich übrigens auch kurz getroffen. Er ist heute angekommen und wurde von zwei Freunden aus Holland vor der Kathedrale empfangen. Sie sind mit dem Auto hergekommen und verbringen nun noch eine gemeinsame Woche am Meer. Da werden sicher die Korken kräftig geknallt haben.
Im Internet habe ich nachgeschaut, was Ludger macht. Es geht ihm gut. Er erwartet seine Ankunft am 06.07., mit einem Wiedersehen wird es da wohl nichts. An dem Tag werde ich voraussichtlich Finisterre erreichen.
Ich nutzte die weitere Zeit für ausgiebige Telefonate mit Wiebke, Mama und meiner lieben Oma. Ich glaube, sie freuen sich, dass ich es geschafft habe und nun bald nach Hause komme. Auch bei mir kommt erstmals so etwas wie Vorfreude auf. Auf dem Weg war das noch anders. Da zählte nur ebendieser.
Langsam werde ich auch des Schreibens etwas müde, jetzt wo ich es geschafft habe. Bin neugierig, wie es morgen sein wird, wenn ich noch einmal knapp 90 km unter die Füße nehme. Werde mich wahrscheinlich ganz neu motivieren müssen. Mal sehen... .
Am Abend traf ich mich mit Ela. Wir haben uns ein schönes Restaurant ausgesucht, in dem es Paella gibt. Es schmeckte hervorragend und war so reichhaltig, dass selbst ich an den Rand meiner Kapazitäten gelangte. Gegen 22 Uhr kam Bruno dazu, Ela hatte ihm gesimst. Er hatte heute eine wahre Ochsentour zu bewältigen. 50 km hat er zurückgelegt, kam schließlich am frühen Abend vor der Kathedrale an, um den Moment der Ankunft gebührend auszukosten. Ein paar übereifrige und wenig sensible Polizisten haben ihn jedoch aufgefordert, unverzüglich die Altstadt zu verlassen – wegen seinem Pferd. Belästigung der Touristen sollen sie als Argument angeführt haben. Geht‘s noch? Nur ab spät abends bis früh morgens dürfen Pilger mit Pferd die Altstadt betreten. Welch ein „Willkommen“ nach fast 1.500 km Pilgerweg! 5 km mussten Bruno und Pferd zurückgehen, zum Monte do Gozo. Nur dort kann das Pferd über Nacht bleiben. Bruno ist mit dem Taxi zurück nach Santiago gekommen und hat erst nach 21 Uhr ein Zimmer gefunden. Morgen hat er noch Zeit für die Pilgermesse und tritt direkt im Anschluss seine Heimreise an. Nein, so sieht kein würdiges Ende einer langen und mit Pferd sicher doppelt schwierigen Pilgerreise aus. Ich glaube, mir wäre das zu
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