Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Reiseführer ist ein billiges Hotel aufgeführt, was ich noch nicht angesteuert hatte. Also sofort hin! Bullshit, wieder nichts! Aus dem ehemals einfachen Haus ist inzwischen eine Nobelherberge geworden. 75,- € für eine Nacht – no way! Abfällige Blicke begleiteten mich, als ich das Haus durch das Restaurant wieder verließ. Einige feine Herren stimmten sich dort bei einer Flasche Champagner offensichtlich auf ein feudales Dinner ein. Wie konnte ich einfacher Wandersmann es auch nur wagen, diesen erlauchten Kreis durch meine kurze Anwesenheit zu belästigen. Ich denke, ich sollte heute mit einem schlechten Gewissen ins Bett gehen, höhö… . Immerhin hat mir der Herr an der Rezeption mit gerümpfter Nase mitgeteilt, dass es ein paar Häuser weiter ein wirklich einfaches Hotel geben soll. Und - Bingo! Hier war mir Erfolg beschieden. Ist natürlich eine ziemliche Absteige, schlägt dafür mit weit weniger als der Hälfte des Preises zu Buche, der in dem Edelschuppen fällig gewesen wäre. Sogar eine Luxusdusche mit Massagestrahlen zählt zur Zimmerausstattung. Will ich mehr? No! Ruhig isses auch!
Einmal musste ich mich noch beeilen. Ich hatte schon wieder einen Bärenhunger und die Geschäfte machten um 19:30 Uhr zu. Also schnell etwas Ess- und Trinkbares eingekauft, denn ein Restaurantbesuch kam aus Kostengründen nicht in Frage. Zurück im Hotel stürzte ich mich umgehend über mein persönliches Galadinner, bestehend aus 300 Gramm Käse am Stück, 1 Dose Kichererbsen, 2 Dosen „Feinkostsalat“, einem frischen Baguette, ein paar Bananen sowie einer Tüte Cashewkernen. Zur Feier des Tages gab‘s dazu eine Flasche „edlen“ Bordeaux- Rotwein für 1,09 €. Ein Festmahl! Die elitäre Herrenriege wird kaum besser gespeist haben können.
Pappsatt und zufrieden ließ ich mich anschließend auf mein Bett fallen, immer noch gehörig geschlaucht. Viel wichtiger war und ist: Ich habe die Niedergeschlagenheit besiegt! Ich bin sogar etwas stolz, dass ich mich nicht von meiner Schwächephase habe kleinkriegen lassen. Ich glaube, ich werde die vergangenen 2-3 Tage später einmal als wichtige Mosaiksteinchen auf meinem Weg nach Santiago ansehen. Ganz genüsslich werde ich nun die Flasche Rotwein bis auf den letzten Tropfen leeren, stilgerecht aus einem Plastikbecher. Auf Wiebke! Heute ist der 17. Jahrestag unseres Kennenlernens.
Schade, dass wir diesen Tag nicht miteinander verbringen konnten. Ich hoffe, wir werden in Zukunft noch viele Gelegenheiten dazu bekommen. Heute musste ein langes Telefonat ausreichen, denn ich habe ein Ziel – den morgigen Weg! Ja, genau! Weiter schaue ich nicht mehr voraus!
Fazit: I am back! Mein Kämpferherz ist wieder hellwach!
Tag 20, Joinville - Ambonville 18 km
Nach der gestrigen Hammeretappe tat ich mir heute Morgen die Ruhe an und besorgte mir in der Boulangerie um die Ecke ein frisches Brot für mein Frühstück. Auch danach ließ ich mir Zeit, schaute mir erst die Stadt etwas genauer an, bevor ich mich auf den Weg machte. Joinville liegt hübsch an der Sâone und hat eine für diese Region typische Altstadt. Die recht große Kirche ist deutlich sichtbar in die Jahre gekommen, fügt sich so passend in das Gesamtbild ein. Irgendwie mag ich diesen äußerlichen Verfall.
Ich hatte keine Ahnung, bis wohin ich heute gehen sollte. Auf den knapp 50 km hinter Joinville sind laut Reiseführer keine Unterkünfte deklariert. So weit zu kommen, war aber von vornherein illusorisch. Meine Beine waren schwer, daher wollte ich ihnen mehr als eine kurze Etappe nicht zumuten. Ich ging, ohne mir viele Gedanken zu machen, einfach mal drauflos und beschloss, mich überraschen zu lassen, was passiert. Um das Wetter brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, stabiler Hochdruckeinfluss garantiert auch für die kommenden Tage Sonne pur. Ich war bereit, zur Not irgendwo im Freien zu schlafen.
Die ersten Kilometer waren wieder schön zu gehen, wobei ich früh merkte, dass ich meine Beine heute in der Tat nicht zu viel belasten durfte. Sie wollten Schonung! Sollten sie natürlich bekommen, auch wenn der Geist voller Tatendrang steckte. Schon nach knapp 2 Stunden musste ich die erste Pause einlegen. Fast unmerklich veränderte sich danach das Landschaftsbild, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, dass Frankreich nur noch aus Rapsfeldern besteht. Leuchtendes Gelb, soweit das Auge reichte. Wieder etwas später nahm der Rapsanteil etwas ab, dafür wurde die
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